Wer definiert „Kommune 2.0“ parteipolitisch in welcher Form?

Der Grüne Kommunalkonvent NRW – Perspektiven 2020  tagte in Bielefeld. Ich war als parteiunabhängige Expertin für Kommunen und Digitalisierung eingeladen. Mein Thema: Kommune 2.0 – Wege und Strategien zur vernetzten, intelligenten und offenen Stadt.

Digitalisierung ist nicht mehr neu. Seit Jahren wirkt sie bereits und umfasst dabei alle Lebensbereiche der Gesellschaft. Eine Binsenweisheit. Daher braucht es keine Diskussion mehr über das „ob“, sondern nur noch über das „wie“. Wie gelingt der Wandel auch vor Ort?

 

Ein Punkt wird allerdings beharrlich übersehen, denn was macht konkret eine parteipolitische digitale Kommunalpolitik aus? Wie gelingt es den Parteien und jeweiligen Fraktionen vor Ort, ihre eigene Perspektive mit dem digitalen Thema zu verbinden? Darüber gibt es bisher eher wenige Erfahrungen, denn was genau den politischen Unterschied macht, wird viel zu wenig deutlich – oder ist gar garnicht vorhanden. Eine sehr spannende Diskussion ist damit entfacht, die ich zur Zeit in vielen Orten und vielen Parteien gleichermaßen führe – und die jede Partei vor eigene Herausforderungen stellt. Was ist etwa „grün“ an Digitalpolitik oder an „KI“? Oder auch, was ist christdemokratisch, was sozialdemokratisch – greifen derartige parteipolitischen Ausdifferenzierungen in den Kommunen überhaupt noch oder gelten längst andere Parameter übergeordneter Natur wie Transparenz, Kollaboration und geteiltes Wissen. Kann dieser Kulturwandel und die neue Haltung der Öffnungsnotwendigkeit überhaupt noch parteipolitisch sein? Wie gelingt ein solcher Aushandlungsprozess, wenn zunehmend auch die digital versierte Zivilgesellschaft ihre Perspektiven und ihr Know-How einbringt?

 

Digital und menschlich?                                                                                                                                      Foto: Franzi

Zudem kommt etwa in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2020 noch eine weitere Perspektive hinzu. Hier gilt es für Parteien, sich auch im Wahlkampf mit digitalen Positionen abzugrenzen zu den jeweiligen Bürgermeistern, die gleichfalls mit der Kommunalwahl der Räte gewählt werden und ihrerseits als Schnittstelle zwischen Verwaltung und Politik ein digitales Programm aufweisen müssen. Immer wieder höre ich, dass man sich zwar in den Fraktionen und Parteien über Digitalisierung unterhalte, aber dies als reine Aufgabe der kommunalen Verwaltungsspitzen erachte – und daher darauf wartet, dass sich die Bürgermeister mit Vorlagen in die richtige Richtung bewegen. Gemeinderäte oder Stadträte aber sind die legitimierte Volksvertretung, sie sind gewählt, um Zukunft inhaltlich zu gestalten. Der Gemeinderat / Stadtrat entscheidet grundsätzlich in allen Angelegenheiten der Gemeinde, die das Gesetz nicht ausdrücklich einem anderen Organ zugewiesen hat. Ihm, dem Rat, obliegt die Entscheidung über alles Grundsätzliche der Kommune. Damit sind Digitalisierung und Räte sehr kompatibel, denn beide beschäftigen sich mit einer Art 360-Grad-Relevanz zur Gestaltung des Lebens vor Ort. Zudem übt der Gemeinderat / der Stadtrat die Kontrolle über den zwar direkt gewählten aber immerhin demokratisch zu kontrollierenden Bürgermeister aus. Ein Fakt, der häufig vergessen wird, die Kontrolle der Verwaltungen und der Verwaltungsspitze. Die Räte haben ihrerseits ein großes Repertoire an Kontrollinstrumenten dafür. Auch sie verlangen etwa Auskunft, Informationen und Akteneinsicht – und stehen damit auf einer Ebene mit Bürgern, die dies im besten Sinne von Open Government ebenfalls einfordern.

Überlässt man also dem Hauptverwaltungsbeamten das Ruder, ist damit der Blick beschränkt auf ledigliches Verwaltungshandeln. Die kommunale Selbstverwaltung und damit politisches Handeln aber verlangt Steuerung und Entscheidung in allen Bereichen des Daseins seitens der Gewählten. Im Rahmen meines eigenen Bürgermeisterwahlkampfes als Parteilose 2015 habe ich zudem die Erfahrung gemacht, dass niemand meiner vier männlichen Mitstreiter um das höchste Amt in der Stadt überhaupt das Thema Digitalisierung adressiert hätte. Bis heute hat sich das in vielen Städten auch nur minimal verändert.

In vielen Orten fehlt den Städträten / Gemeinderäten ferner die Kenntnis über digitale Treiber in den eigenen Reihen, weil in der Regel bisher die traditionellen „Gestalter“ eingebunden werden, wie Vereine und in Vereinen Organisierte sowie Ehrenamtliche – aber eher selten die neuen digitalen Eliten, die sich in losen Netzwerken zusammenschließen oder gar virtuell zusammen arbeiten.

Diese Entwicklungen halte ich für einen fatalen Fehler, da das Heft des Handelns damit fahrlässigerweise in nur eine Hand der Bürgermeister(innen) gelegt wird. Setzt man auf nur eine Person, die „digital“ definiert, führt das unweigerlich zu weiteren Verzögerungen in der ortsspezifischen Umsetzung von digitalen Möglichkeiten oder sogar zu Fehlentscheidungen, die sich nicht selten zu gravierenden Standortnachteilen für die Stadt, die Kommune, die Region auswachsen. Nicht Bürgermeister allein entscheiden oder bilden die Deutungshoheit, dieses Prinzip führte auch die Idee der Volksvertretung ad absurdum ebenso wie die Idee der Schwarmintelligenz. Digitale Mündigkeit und digitale Kompetenz muss zwingend auf beiden Ebenen vorliegen: sowohl in den Räten als auch in der Verwaltung. Die Zeit, diese zu für die vielen kommunalpolitisch Aktiven aufzubauen, drängt. Sie stehen auch in Konkurrenz zu einer immer aktiveren Zivilgesellschaft, die ihre Belange mehr und mehr selbst in die Hand nimmt.

Die Entwicklungen dazu nehmen jetzt erst an Fahrt in den Parteien und Fraktionen auf. Digital ist nach wie vor für viele „sperrig“ und schwierig auf parteipolitisch Kommunales herunterzubrechen. Das Bewusstsein für einen notwendigen Lernsprung oder sogar auch Generationenwechsel in den Räten ist noch nicht flächig durchgedrungen. Ist aber als Thema längst von großer Relevanz und trägt den Samen für ein weiteres Spalten der Gesellschaft in sich, in die, die mit der Entwicklung Schritt halten können und gestalten und in die, die immer mehr abgehängt sind. Ich hoffe daher sehr auf mehr Bewegung und die Lust, seinen eigenen Platz zur Gestaltung einnehmen zu wollen. Dafür werden die Räte gewählt. Dafür müssen sich künftige Wahlkämpfe zwischen Parteien und Bürgermeisterkandidaten auch inhaltlich abheben. Ihrer beiden Rollen ist unterschiedlich (auch wenn Bürgermeister aus der Politik kommen oder als Kandidaten entsendet werden), was sich auch in ihren politischen Zielen ablesen lassen muss.

Es ist an den Räten, künftig digital wieder mehr zu gestalten. Die Chancen stehen gut: Räte könnten sich die Freiheit nehmen, ihre Kommunen als Experimentierräume neu zu erobern. Sich neuer Formen von Open Innovations anzunehmen, damit Neues überhaupt in die Welt kommt. Auf ihren Schultern liegt die Verantwortung, ihre Orte in die neue Zeit zu begleiten. Sie verantworten diese Prozesse. Nicht mehr und nicht weniger. Es wird also sehr spannend werden, was künftig in den jeweiligen Wahlprogrammen zu lesen sein wird – wer definiert „Kommune 2.0 oder „digital“ in welcher Form politisch.

 

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