Dieser Tage bin ich wieder in die Pflegerolle gerutscht. Es kam buchstäblich über Nacht. Ein Sturz im halbdunklen Zimmer, ein Aufprall auf hochbetagte Knochen – Wirbelbruch Nr. 1 at it´ s best.
Es folgten: Arztbesuch analog, Therapie durch Schmerzspritzen, kein Röntgen, lediglich die ärztliche Ansage: „Da ist nichts! Nur eine Zerrung.“ Bei einer Frau von 83 Jahren. Meine Mutter.
Eine schmerzvolle Woche später endlich Röntgen, CT, schließlich MRT. Eine Kaskade an bildgebenden Verfahren. Mit dem Beweis: ein Bruch! Einweisung ins Krankenhaus. Formalkram: Berge an Papier. Per Hand übergebene Datenträger mit Wirbelfraktur in schwarz-weiß.
Alles unter Corona-Bedingungen. Mit verschärfter Kontrolle am Krankenhauseingang. Ich bin an der Reihe, um Einlass zu bitten. Ein Arzt hatte mich zum Termin vor der notwendigen OP zitiert.
Digitales EU-Zertifikat – wertlos
Ich zeige mein digitales Zertifikat der Corona-Warn-App. Digitales COVID-Zertifikat der EU. Mit meinem Namen, QR-Code, mit Impfstatus und Datum letzte Impfung. Die Dame am Empfang ruft hinter der Scheibe: „Der ist nicht echt. Sie dürfen nicht rein!“ Ich: „Wie, das Zertifikat ist nicht echt?“ Ich falle aus allen Wolken und sehe aus wie ein Fragezeichen. Sie: „Nein, das ist nicht ausreichend. Tut mir leid.“ Es folgt: Stille. Keine Erklärung, WARUM das so sein soll, was sie da diagnostiziert. Sie fragt weder nach meinem Personalausweis, noch schildert sie mir Kriterien der Falschheit, noch weist sie sich als Digitalexpertin aus. Ich reise mit dem digitalen Zertifikat also durch die EU, mit Grenzkontrollen – in ein ostwestfälisches Krankenhaus aber darf ich nicht. Der Arzt muss warten.
Mein veritabler Protest hilft nicht. Nichts zu machen. Ich stehe doof in der Eingangstür eines katholisch-getragenen Hospitals mit Regionalversorgung. Meine Mitwartenden schauen mich scheel an, ich, offensichtlich eine potenzielle Betrügerin. Keine Chance auf Rehabilitation meines Rufes. Ich fahre (wutentbrannt) nach Hause – und kehre mit meinem gelben Impfpass auf Papier zurück. Das Papier wird eingehend untersucht, aber meinen Pass muss ich immer noch nicht zeigen. Ich darf eintreten und der Medizinmann beschreibt mir mit Kugelschreiber auf Papier den Eingriff der Kyphoplastie. Später werde ich das intensiv im Internet recherchieren. Mit Bewegtbildern und vielen Informationen mehr.
Zugleich schreibe ich eine Mail ans Krankenhaus – mit einer Beschwerde, dass eine Krankenhauspforte kein Entre in einen Knast darstellen darf und Verleumdung immer noch kein Kavaliersdelikt ist – wenigstens gibt es ein digital erreichbares Beschwerdemanagement. Das sehr viel später auch antwortet. Mit einer Entschuldigung.
Mogelpackung der Versorgung
Der Anmeldung im Krankenhaus beigelegen hat ein Wisch mit dem wohlklingenden Namen „Entlassmanagement“. Ich freue mich schon auf die Beratung, wie es weitergeht bei Beeinträchtigung der Wirbelsäule und denke – was für ein Fortschritt zu dem Missmanagement in diesen Fragen in den Jahren davor. Jetzt werden Angehörige offensichtlich frühzeitig eingebunden, in weitsichtige Weiterversorgung zu Hause. Die Wahrheit aber lautet: Pustekuchen. Der Wisch war eine Mogelpackung. Sieht schön aus, ist aber nur ein Fake.
Freitags operiert. Sonntagnachmittag heißt es: „Morgen kommt ihre Mutter nach Hause“ – wird mir ausgerichtet, durch meine Mutter, die noch etwas benommen ist und nach drei Tagen Post-OP mit Gebrechen regelrecht aus dem Bett gestoßen wird. Die Fallpauschale sagt, drei Tage reichen. Wie gesagt, sie ist 83. Nichts an Anschlussversorgung ist organisiert.
Wir fahren sie selbst nach Hause, mit einem eigens organisierten PKW mit hohem Einstieg, eine Tortur für eine Frisch-Rücken-Operierte. Und die Treppen zuhause, Horror!
Die Versorgung zuhause ist schwer, zumindest für eine Frau, die stets super-selbständig war und jetzt entsetzlich eingeschränkt ist, mit Rollator, mit Korsett und der Maßgabe, alles im Haushalt zu wuppen. Ein Pflegegrad liegt noch nicht vor. Ein Pflegedienst ist schwer zu finden – Wartelisten, lang wie Sternenschnuppen. Man muss alle persönlich abtelefonieren, es gibt keine digitale Liste, wo noch was frei wäre – und wann, so wie etwa bei der Anmeldung von den lieben Kleinen im Kindergarten mit Little-Bird.
Auf unserer TO-DO-Liste oben steht jetzt: Der Orga-Kram mit dem Arzt, Verordnungen, einem Vertrags-Sanitätshaus, mit der Apotheke, mit einem Pflegedienst, mit der Krankenkasse. Alles, aber auch alles (!!!) muss hübsch auf Papier vorhanden sein. Und bitte auf jeden Fall im Original vorliegen. Natürlich muss immer die Versichertenkarte eingelesen werden, auf der sich aber nichts als heiße Luft befindet.
Das heißt, wie schon seit Jahren zuvor im Fall von „Lilo“: ich laufe mir die Hacken krumm. Ich bin der unbezahlte Familienangehörigen-Bote, der durch die grobfahrlässigen analogen Instanzen läuft. Ich hänge in der Telefonschleife und notiere, was an „Unterlagen“ alles gebraucht wird. Natürlich in Papier. Natürlich alles per Post und Briefmarke verschickt, oder persönlich vorbei gebracht. Papierwolkenkratzer erschlagen schon jetzt am Anfang des Bergwanderung „Pflege“ wieder meinen Alltag. K 1 ist ein kleiner Hügel dagegen.
Wie es weiter geht, folgt im nächsten Blog – hier ist grad – nein, keine Werbeunterbrechung – sondern Pflegeeinsatz gefragt.