Die selbsternannten Robin Hoods

Zum Jahreswechsel hatte Gunnar Sohn zum Livestreaming-Event eingeladen. Ich hatte das Vergnügen, daran teilzunehmen. Es ging u.a. auch um das Thema #newwork. Warum blogge ich dazu auf einem Blog mit kommunalen Themen? Weil das Thema auch neue Arbeitsformen in kommunalen Verwaltungen berührt.

Bereits während des Streamings zeigte sich Zuhörer Stefan Pfeiffer (Marketing IBM Deutschland) verschnupft bis verdrießlich, dass die fast ausschließlich anwesenden Freiberufler in Frage stellten, was da an #newwork – Phantasien aus den großen Konzernen und Stiftungen herausposaunt wird und als das neue heilsbringende Arbeiten in Unternehmen verkündet werde.

Stefan Pfeiffer schreibt jetzt einen vergrätzten Kommentar NEW WORK? ODER DIE RÜCKKEHR DER WILDEN ENTEN UND DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK im CIOKurator:

„Im Videochat, den Gunnar Sohn gehostet hat, ging mir – man verzeihe mir die klare Sprach – tierisch auf den Senkel, dass die fast nur ausschließlich anwesenden Freiberufler glauben, denen, die in Unternehmen Dinge zu verändern suchen (Stichwort Change Management), erklären zu müssen, dass sie viel expliziter und öffentlicher mit ihren Bemühungen, den Erfolgen und Misserfolgen umgehen müssten. Das war der Moment, in dem mir die Haare ausfielen und ich alle die, die mühsam Veränderungen mit viel persönlichem Einsatz und unter latentem internen Beschuss treiben als Robin Hoods in Unternehmen bezeichnet und verteidigt habe.“

Sein Vorwurf: wir hätten Belege für die Veränderung eingefordert, die allerdings gar nicht öffentlich gemacht werden könnten, ohne Firmeninterna auszuplaudern. – So allerdings wurde das gar nicht formuliert.

das Foto zeigt eine Hand mit Tätowierung.
Der Butler – die helfende Hand

Sorry, Stefan Pfeiffer – aber keiner hat diese echten Robin Hoods in den Firmen in Frage gestellt. Denn nicht alle, die sich für Robin Hood im eigenen Unternehmen (in der Verwaltung) halten, sind es auch. Sie sind bestenfalls verkleidete Robin Hoods, die gerne so tun als ob – sobald sich die Gelegenheit ergibt, greifen sie aber selbst nach der Macht und „besetzen“ Posten und zeigen so ihr wahres Gesicht.

Bei genauerem Hinsehen, bleiben echte Robin Hoods nämlich gar nicht so lange in den Unternehmen/Verwaltungen – sie werfen selbst das Handtuch, wenn sie merken, dass sie nicht weiterkommen mit ihrem echten Anliegen des Changemanagements. Diesen echten Robin Hoods ist überhaupt gar nicht an Macht, Geld und Posten gelegen – sie ernähren sich hauptsächlich aus Innovation, Kreativität und damit aus Veränderung. Haben sie etwas erreicht, so wird ihnen in der Regel totlangweilig und sie wechseln das Sujet. Robin Hoods SIND Veränderung. Ihr Verbleib im Unternehmen, welches sie verändert haben, ist gar nicht ihr Ziel. Und Kugeln im Rücken sind eher ihr Lob. Oder sie haben resigniert und sind aufgrund mangelnder Mobilität in den Keller immigriert.

Echte Robin Hoods sind daran interessiert, dass sich ein System für alle ändert. Möchtegern-Robin-Hoods sind daran interessiert, dass sich für sie etwas verbessert. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Das unterscheidet Echte deutlich von der mitlaufenden Ansammlung von Möchtegern-Robin-Hood-Menschen, die sich in allen Unternehmungen/Verwaltungen finden: die einer verängstigten Mittelschicht im Gefüge, die bisher weder ganz unten noch ganz oben gelandet sind. Die erkennen, dass sie sich von diesen unteren Schichten abgrenzen müssen, um dann unter allen Umständen an ihrem Sessel kleben und nicht in den Abwärtsstrudel gelangen möchten, sondern sich bestenfalls noch Posten sichern, die sie bisher nicht erreichen konnten. Damit sind sie eher eine Gefahr für Veränderung als eine Chance. Warum? Weil ihre Eigeninteressen blockieren.

Sie scharen sich um die uniquen echten Robin-Hood-Changer, saugen diese aus an Ideen – und nutzen deren Mut an die Spitze zu gehen. Sie surfen in seinem Speed – wissen aber sehr schnell, dass sich diese echten Robin Hoods im traditionellen Gestrüpp aus Firmenhierarchien und Regeln verheddern werden – nutzen also lediglich die Anfangsverwirrung, die diese Robin Hoods stiften – um dann aus diesen Aufgeregtheiten ihren eigenen maximalen  Vorteil herauszuschlagen. Ihr persönliches Engagement reicht lediglich bis zur eigenen Zielerreichung, danach sind sie selbst System.

Kommt es zu echten Revolten oder harten Auseinandersetzungen sind diese Mitläufer-Robin-Hoods die ersten, die sich in die Büsche schlagen. Dann erkennt der echte Robin-Hood auch, dass seine Mitläufer-Robin-Hoods längst Netzwerke mit dem Sheriff geknüpft haben (um im Bild zu bleiben), mit denen sie sich schnell noch abseilen: Sie sind etwa Mitglieder im Betriebsrat und sichern sich dadurch ab. Hier erlangen sie sehr viele interne Infos – und manipulieren schon mal vorsichtshalber gegen die echten Robin Hoods, ohne, dass die Mannschaft das zunächst registriert. Funktioniert besonders gut mit „Zweifel säen“ – seit Jago ein wunderbar wirksames Mittel zur Vernichtung von Aufrichtigkeit.

Zweigleisig zu fahren ist auch ein schönes Stilmittel für die Mitläufer: sie gehen gerne mal mit den Chefs der mittleren Führungsetage zum Mittagessen und geben kleine Wissensfetzen aus diesen vermeintlich dynamischen neuen Gruppen des Change zum besten – sie erklären, sie seien zwar Mitwirkende in dem Prozess – aber jederzeit Ansprechpartner für die Chefs, um mehr darüber zu erfahren. So dass der Veränderungsprozess nicht aus dem Ruder laufe, machbar bleibe für die Firma/Verwaltung, überschaubar und vor allem  so, dass das Führungspersonal auf sie, die Mitwirkenden zurückgreifen können – als verlässliche Partner, die Veränderungen institutionalisieren können – das Mandat in der Hand behalten. In der Folge können sich die Möchtegern-Robin-Hoods sicher sein, dass sie das nächste Projekt leiten werden. Natürlich wissen die Chefs, wer da an ihrem Sessel sägt…

Gleichzeitig sind diese Mitläufer-Changer eine echte Gefahr für die übrigen Mitarbeiter, die ein anderes Tempo bei Veränderungen zeigen. Die überzeugt werden wollen, langsam mitgenommen werden möchten, Ängste haben. Sie werden gerne als „Dummies“ dargestellt, die die Verlierer sein werden, die unlustig sind zu lernen, die blockieren wollen etc. In einem ersten Schub gibt die Change-Meute vor, diese Menge mitnehmen zu wollen, zu schulen, mit dem Neuen vertraut zu machen. Um dann in einem nächsten Schritt genussvoll und von oben herab abzukanzeln: Etwa in der Cafeteria lauthals zu formulieren, man habe „keinen Bock mehr“ immer und ewig auf die anderen zu warten – die müssten sich langsam selbst auf den Weg machen und lernen. „Ich habe denen jetzt so oft erklärt, wie Social Media funktioniert – jetzt müssen sie es aber auch kapiert haben.“ Um damit deutlich zu machen, was man bereits selbst für ein unschlagbarer Experte sei – um dann nachzuschieben, man habe mehr als Tausend Follower auf Twitter – deutlich mehr als der Vorstand selbst. Die Mitarbeiter können diese Gefahr einschätzen, sie wissen, wenn so ein Lautsprecher erstmal selbst Chef ist, wünschen sich alle den alten zurück. Eine Kampfansage an Macht und Deutungshoheit, die sich durch den Vergleich von sagen wir mal „Schwanzlänge“ auf Twitter aber auch nicht beheben lassen, sondern echtes Changemangement voraussetzen.

Solche Erfahrungen bremsen Veränderungsprozesse. Weil die alte Struktur bestehen bleibt. Weil die alten Werte die gleichen bleiben. Weil alle wissen: Hierarchien bauen sich nicht einfach so ab. Hierarchien werden über den Haufen geworfen, wenn sich die Bilanz verschlechtert. Dann machen alle mit, weil alle im gleichen Boot sitzen und nicht untergehen wollen. Hierarchien gehen baden, wenn das Unternehmensziel nicht erreicht wird. Dann kommt eine neue Mannschaft. Weil aber echte neue Arbeit in bestehenden Unternehmen ganz anders organisiert werden müsste, nur kaum jemand wirklich weiß wie, wird festgehalten an Traditionen. Das System kann man von innen nicht verändern. Da hilft es auch nicht, ein paar moderne Kuschelecken einzurichten oder nur noch Großraumbüros zu favorisieren. Die Menschen im System laufen trotzdem auf ihren ausgetretenen Pfaden der Beziehungen und Regelwerke (und in ihre Raucherecken, in denen gerne über Revolution fabuliert wird). Sie haben die organisationsinterne Hackordnung ganz genau verinnerlicht. Ein Abweichen davon kann den Arbeitsplatz kosten – sie kalkulieren -und bleiben also schön brav.

Wir brauchen dringend Querdenker, Freigeister und Unangepasste in den Unternehmen dieser Zeit. Ohne Widerspruch, ohne Kreativität und ohne Angst vor Regeln nämlich wird sich kaum etwas bewegen in den stark verkrusteten und  hierarchisch strukturierten Unternehmen/Verwaltungen. In den letzten Jahren des permanenten Wirtschaftswachstums und einer stabilen Wirtschaftslage in Deutschland brauchte es kaum Robin Hoods, die Changemangement betrieben hätten. Angesichts der digitalen Transformation allerdings werden starre Unternehmen vom Markt gefegt. Die Gründe sind vielfältig. Einige: Sie sind nicht immun gegen neue Ideen, die eben digital funktionieren und nicht dem bisherigen Denken entsprechen. (Abgedroschen aber verständlich: Uber besitzt keine eigenen Taxis; das größte Medienunternehmen hat keine eigenen Inhalte: Facebook; das erfolgreichste Handelsunternehmen hat kein eigenes Inventar: Alibaba; das größte Kinounternehmen hat keine eigenen Kinos: Netflix.) Firmen, die digital unterwegs sind, ticken anders. Flexibler. Direkter. Robin Hoods sind hier die Freien, die selbst gründen.

Der Einspruch von Stefan Pfeiffer bestätigt im Grunde, das, was in zahlreichen großen Firmen abläuft – nur differenziert er nicht öffentlich in echte und unechte Robin Hoods:

„Und zu dieser Aussage stehe ich: Dies sind die Jedi Ritter, die sich jeden Tag bemühen und unter latentem Beschuss der Bürokratie und der Nomenklatura Dinge hoffentlich zum Positiven im Unternehmen zu ändern. Zwar „ermächtigt“ von dem ein oder anderen Vorgesetzten, kämpfen sie doch ständig mit eingefahrenen Strukturen und vor allem Machtverhältnissen, die mit Klauen und Zähnen verteidigt werden. Welcher „Middle Manager“ hört beispielsweise gerne, dass seine Stelle an Macht verlieren oder gar verschwinden könnte?“

Eines meiner Lieblingsbeispiele für das Verballhornen der #newwork vor den Augen einer gesamten Institution ist dieses hier:

Da wurde als Change eine Plattform zum gemeinsamen Arbeiten entwickelt. Das unsägliche Hin- und Herschieben von Dokumenten sollte ein Ende haben – jeder sollte am gleichen Doc arbeiten. Mit der digitalen Bedienbarkeit, dass am Ende des Arbeitstages (was für ein altmodisches Denken) namentlich erkennbar sei, wer woran gearbeitet hat. Nur der letzte Name wurde gelistet. Was geschah? Eine Kollegin blieb abends länger als andere. Sie, eine nach außen glühende Verfechterin von #newwork, sortierte die Docs neu – und war damit im System als letzter Name der Bearbeitenden sichtbar. Gleiches erledigte sie bei zahlreichen Dokumenten. Sie änderte dort nur eine winzige Kleinigkeit. Aus einem Punkt machte sie ein Komma und umgekehrt. Ziel erreicht: Am Ende stand ihr Name als Bearbeiterin in der Liste. Ein Chef, der keine Ahnung von gemeinsamen Arbeiten an Dokumenten hatte, schaute lediglich auf die Liste der Arbeitsaufträge – und fand dort in großer Häufigkeit einen einzigen Namen, den er wohlwollend zur Kenntnis nahm in der Annahme, das Dokument stamme in weiten Teilen aus deren Feder. – Es hat etwas gedauert, bis das den Kollegen auffiel. Die Beteiligten jedenfalls wussten um den Webfehler. Waren sprachlos ob so viel Hybris. Und entwickelten lautlos Gegenmaßnahmen. Dem Chef blieb das allerdings verborgen. Versprachlicht wurde dieser MegaGau der neuen Formen der Arbeit nie.

Lieber Stefan Pfeiffer – bei aller Kritik, ich will schon öffentlich Ergebnisse und Mut sehen für echte Veränderung. Bis dahin glaube ich den Lautsprechern und selbsternannten Apologeten des #newwork kein Wort. Alleine ein Blick in die Organigramme verrät nämlich sehr schnell, wer echter Robin Hood ist – und wer eher nicht. Ich würde zuerst im Keller nachschauen, wer sich da kenntnisreich (und abgestraft) aber mit einem wissenden Lächeln hinter vermeintlich blöder Arbeit verschanzt hat.

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