Es klingelt an der Haustür. Ein junger Mann mit Bart und einem freundlichen Lächeln steht vor der Tür. Um den Hals hängt ihm ein Pappschild. Er komme von der Netzgesellschaft in meinem Heimatort. Das Schild ist sein Ausweis dafür, dass er Einlass in meine Wohnung fordert. Er sei der Ableser für die Stromzählerstände. Nun möchte er auch meinen Zähler ablesen. Unser Gespräch dauert genau sechzig Sekunden, ist freundlich, bedeutet für ihn aber, dass er unverrichteter Dinge wieder gehen muss. Ich lasse keine Klingler ohne Termin oder erkennbar notwendigen Auftrag in meine Wohnung.
Statt dessen forsche ich nach. Warum geht das Stromzählerablesen eigentlich immer noch nicht digital?
Warum muss da noch ein leibhaftiger Mensch vor der Tür stehen? Es gibt immerhin zwei Möglichkeiten: 1. Das grundsätzlich digitale Ablesen im Sinne von „smart“.
Wikipedia schreibt dazu: „Ein intelligentes Messsystem (§ 2 Nr. 7) besteht aus einer modernen Messeinrichtung, die über ein Smart Meter Gateway (§ 2 Nr. 19) mit einem Kommunikationsnetz verbunden ist und dabei die Vorgaben der §§ 20 und 21 über Datenschutz, Datensicherheit und Interoperabilität einhält.“
Oder aber auch noch 2. das analog-digitale Verfahren, wenn nämlich die Zählerstände vom Menschen abgelesen und per Mail an den Energieversorger versendet werden. Bisher haben wir den „Stadtwerken“ unsere Zählerstände digital übermittelt, also per Mail. Die Zählerstände lasen wir selbst ab – und bekamen dafür sogar noch einen finanziellen Bonus. Nun geht das nicht mehr. Von uns selbst an die Stadtwerke gemeldeten Zählerstände gelten nun nur noch als ein „ermittelter Zwischenstand“ – und sind keine Grundlage für eine geschäftliche Abrechnung. Die Netzgesellschaft hat jetzt die Hoheit. Zwar leiten die Stadtwerke die Werte an die Netzgesellschaft weiter, aber wie gesagt, sie sind eigentlich null und nichtig für eine Rechnungsstellung.
Heute gibt es das in der Form nicht mehr, es ist eine weitere Hürde eingezogen: Wenn der Ableser unverrichteter Dinge abgewiesen wird – er hat kein Recht, einfach in die Wohnung zu kommen – meldet er, dass er keine Zählerstände hat ablesen können. Nun muss die Netzgesellschaft eine Postkarte an den Kunden schicken. Diese kann der Kunde dann entweder selbst mit den abgelesenen Werten ausfüllen und zurück senden, völlig analog also – oder er scannt den QR-Code – und kann dann diesen nutzen, um mit einer sicheren verschlüsselten Verbindung die Daten an das Portal der Netzgesellschaft zu übersenden. Medienbruchfrei ist das also nicht.
Die Verfahren, also das semidigitale Senden entweder an die Stadtwerke oder aber an die Netzgesellschaft, sind einen Quantensprung vom Digitalen entfernt. Dabei ist in den meisten Fällen in den Zählern bereits die bekannte Drehscheibe ausgetauscht durch elektronische Zähler, ständen die allesamt in Verbindung mit einem Gateway, welches den Zähler kommunikationsfähig macht, weil mit dem Internet verbunden, entfiele der Umweg über Karten und handschriftliches Trallalla. So haben oder hätten wir längst einen „Smart Meter“, ein intelligentes Messsystem, im Haus. Aber:
Jeder Haushalt in Deutschland bekommt in den nächsten Jahren einen digitalen Stromzähler – ob er will oder nicht. Das sieht das Messstellenbetriebsgesetz vor. Demnach müssen bis zum Jahr 2032 alle Netznutzer mindestens mit einer „modernen Messeinrichtung“ ausgestattet sein. Einige Haushalte bekommen ein „intelligentes Messsystem“ – das aber hängt noch vom Stromkonsum ab. So schreibt es Stiftung Warentest zu „Digitale Stromzähler“.
Warum der Umweg?
Die Netzgesellschaft und die Stadtwerke sind getrennte wirtschaftliche Konstrukte. Die Stadtwerke sind der Vertrieb, die Netzgesellschaft ist für die Zählerstände zuständig. Bis jetzt. Beide Häuser sind zwar noch eine Unternehmensgruppe, aber mit unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen und Aufgaben. Jetzt wird eine dritte Gesellschaft hinzukommen, einen „Messstellenbetreiber“. Eine Ursache liegt in den Vorgaben der Bundesnetzagentur, hier spielt u.a. der Datenschutz eine Rolle, im weitesten Sinne die DSGVO – und noch mehr: das Messstellenbetriebsgesetz, im Rahmen der Digitalisierung der Energiewende eingeführt.
Beim Ablesen u.a. von Stromzählern handelt es sich um „Massenprozesse“, heißt es, also geht der gesamte Prozess der Ablesung und Datenerhebung „normiert“ über die Bühne – für alle Anbieter in Deutschland also zwingend gleich. Kurzer Einschub: wir sind im Jahr 2019 angekommen und wähnen uns im digitalen Deutschland. Smart Metering wäre eine Lösung, also das Ablesen direkt an den intelligenten Messgeräten, die das potentiell schon könnten, das schafft aber erstmal offensichtlich jede Menge Bürokratie und Probleme und bietet sich bisher offenbar nicht als Lösung an.
Seit der Liberalisierung des Energiemarktes müssen alle Prozesse vergleichbar sein, also alle rund 900 Anbieter von Strom vor Ort müssen gleich behandelt werden und die Zählerstände in einem gleichen Prozess erhoben und an die Netzgesellschaft geliefert werden.
Langsam kommt der Wandel in Fahrt
In meiner Heimatstadt sprechen wir von einer Anzahl an 86.000 Zählern, die abgelesen werden müssen. Kein Pappenstil. Deutschlandweit hochgerechnet sind es rund 46 Millionen Stromkunden mit einem Zähler (Angaben nach Statista 2016). Auch hier steht die Gleichbehandlung von Elektrizitätsversorgern im Zentrum. Zum 1. Dezember 2019 wird es daher also eine dritte Gesellschaft vor Ort geben, einen Messstellenbetreiber, um dem Messstellenbetriebsgesetz genüge zu tun und die Zählerstände unter seine Fittiche zu nehmen. Das wird dann wohl eine Firma sein, ohne eine echte Firma zu sein, also rein proforma ohne Beschäftigte, aber nach den Vorgaben des Gesetzes.
Die Veränderungen in der gesetzlich vorgeschriebenen Betreiberform geht konform mit den Prozessen beim Verbraucher:
„Die Ausstattung der Haushalte mit intelligenten Messsystemen kommt erst langsam in Gang. Eigentlich hätte der Pflichteinbau bei bestimmten Gruppen, beispielsweise bei Betreibern von Photovoltaikanlagen, bereits 2017 starten sollen. Doch bislang scheitert die flächendeckende Einführung daran, dass es noch keine drei Modelle unterschiedlicher Hersteller gibt, die die hohen sicherheitstechnischen Anforderungen erfüllen und vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zertifiziert worden sind. Bisher hat nur ein Modell diese Hürde gemeistert. Experten erwarten aber, dass im Laufe des Jahres 2019 weitere folgen.“ (Stiftung Warentest)
Die Ablesekarte mit ihrem neuen Verfahren QR-Code wäre demnach ein erster Schritt, das Ablesen im Prozess zu standardisieren und an die richtige Stelle zu leiten und einen gesonderten Verantwortlichen zu benennen. Damit aber wäre ein weiterer Anwendungsfall entstanden, der eindrucksvoll belegt, dass Online oftmals mehr für Umwege und Ärgernis als für Lösung steht. Man kann das auch so ausdrücken, dass es Vorgaben von der Bundesnetzagentur gibt, die Prozesse fordert, die nicht unbedingt sinnbehaftet sind. Eine Alternative dazu gibt es wohl erstmal nicht.
Alles sehr komplexe und schwere Kost für einen End-Verbraucher und Nutzer von digitaler Technik, der eigentlich davon ausgeht, dass digitale Verfahren Vereinfachung und einen qualitativen Mehrwert mit sich bringen könnten.
Was können denn Smart Meter?
Smart Meter ermitteln in erster Linie Verbrauchsmengen von Strom, Gas und Wasser, dies in Echtzeit, jederzeit an jedem Zähler abrufbar. Die erhobenen Daten werden an den jeweiligen Versorger, Netzbetreiber und bald also an den Messstellenbetreiber übermittelt. Einen humanoiden Ablesevorgang braucht es nicht mehr, um den Verbrauch in eine Rechnung münden zu lassen oder den Verbrauchern einen Überblick über ihren individuellen Verbrauch zu erstellen.
An dem Punkt wird es auch spannend, denn der jeweilige Echtzeit-Verbrauchswert der Ressourcen Strom, Gas und Wasser gibt Einblick und Aufschluss über das menschliche Verhalten der Nutzer: Die erhobenen Daten lassen Rückschlüsse auf die Bewohner und ihre Angewohnheiten oder Lebensweisen zu und sind daher besonders interessant, für jeden, der mit Daten Geschäfte machen könnte. Die smarten Zähler müssen deshalb sehr hohe Sicherheitsanforderungen erfüllen, die das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik für intelligente Messsysteme entwickelt hat.
Andererseits hat mit den erhobenen Daten jeder Verbraucher die Möglichkeit, sein eigenes Verbraucherverhalten zu analysieren und zu verändern. Das persönliche Leben der Menschen könnte exakt ermittelt werden, wer wann Fernsehen schaut, welchen Energiefresser als Kühlschrank jemand betreibt und wann und wie oft er oder sie Wäsche wäscht – und auch, wie viele Personen denn in einem Haushalt leben. Der Verbraucher ist gläsern.
Dass dabei sensible Daten anfallen und diese in falsche Hände geraten könnten, kann das Leben des Nutzers stark beeinflussen, zu großer Verunsicherung führen, bis hin zum Gefühl der permanenten Überwachung. Datensparsamkeit bei der Erhebung sind essentiell, ebenso wie die Anonymisierung der Daten. Die Frage schließt sich an, wie sicher denn die Daten beim Erheber sind, welche Sicherheitsvorkehrungen dort getroffen werden. Nach der neuen DSGVO könnten also Verbraucher um Auskunft erbitten, welche Daten gespeichert werden und was damit geschieht.
Smart City und nachhaltiger Ressourcenverbrauch
Grundsätzlich aber wäre das digitale Erfassen von Zählerständen auch im Sinne von Nachhaltigkeit im Verbrauch und Umgang mit Ressourcen von Interesse. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um den Klimanotstand dürfte die Datenerhebung weiter an Relevanz zunehmen, wenn wir sicherlich sehr bald auch über Verbote nachdenken müssen, weil wir den Konsum von Strom, Gas und Wasser einschränken müssen. Und weil die Technik so rasant neue Möglichkeiten schafft, dass sie Verbote in Chancen übersetzen kann – die aber nur dann greifen, wenn die nächste Generation von Entscheidern mutig und Willens ist, diese auch zu nutzen. Digitale Relevanz ist lange Zeit ausgesessen worden von denen, die damit wenig bis nichts anfangen können.
Die Bremser beziehen sich gern hierauf: In China werden solche Messstände längst digital erhoben und analysiert. Jede Menge Rückschlüsse auf das Leben der Nutzer und noch komplexere Sozialsysteme wie Stadtgesellschaften in der Interaktion sind möglich. Am Infostand von Huawei als einer der weltweit größten Anbieter für Steuerungstechnik für Internet-Verteilerknoten und Rechenzentren auf der Messe in Hannover bereits 2018 konnte ich mir einige technische Errungenschaften anschauen. Im Gespräch mit den chinesischen Anbietern zeigten diese alle Möglichkeiten auf, was in China mittels der intelligenten Ablesetechnik möglich ist. Meine Frage, ob die Ablesetechnik von Huawei auch Hintertüren aufweist, die Daten abzweigen lässt, wurde mir mit einem Lächeln ein „Nein“ geantwortet.
Selbstverständlich könnte eine solche Echtzeitablese auch in ein Smart City Dashboard münden, das Aufschluss nicht nur über den privaten Verbrauch gibt, sondern den Verbrauch einer gesamten Stadt bündelt und abrufbar macht. Was sich anhört wie Science-Fiction, existiert bereits in vielen Hightech-Städten vor allem im asiatischen Raum. Damit ließen sich Ressourcen schonen, damit ließe sich ein neues Verhalten schaffen, das den Umgang mit Verbräuchen neu einpendelt im Format „sparsam“ und nachhaltig umweltschonend. Wir sind längst an einem Punkt der Wende.
In Deutschland müssen mindestens drei Anbieter vorhanden sein, die das digitale Ablesen auf dem Markt bereit stellen, heißt es. Kleinere Stadtwerke sind mit der Nutzung und Bereitstellung von KI überfordert. Bisher gebe es nur einen Marktteilnehmer, wir befinden uns in einer Übergangsphase der modernen Messständeerhebung. Große Anbieter wie RWE und EON sind mächtiger, weil größer und marktrelevanter. Bremsen sie?
Gern mehr Information und Einordnung
Da kommt noch einiges auf uns als Verbraucher zu. Nur fehlt die öffentliche Diskussion dazu, das Bewußtsein auch vor Ort, das Abwägen von Pro und Contra der neuen Messtechnik, die Aufgeklärtheit über die Nutzung und die Risiken. Das aber wäre in dieser Zeit der digitalen Veränderung dringend notwendig.
Wenn also der junge menschliche Ableser in seinem karierten Hemd und der Identifizierung als Netzgesellschaftsmitarbeiter um den Hals vor der Tür steht, ist er ein Sinnbild für das große Ganze im Spannungsfeld zwischen Bürokratieabbau, Digitalisierung und Globalisierung. Die Welt bündelt sich in der Kommune, direkt an der Haustür. Und wir sind mit allem noch nicht am Ende. Es ist erst der Anfang des kompletten Umkrempelns.