Es ist ein Prozess, der sich derzeit in vielen Metropolen abspielt – und auch in mittelgroßen Städten, die über ihre übliche Größe hinaus wachsen: Veränderung. Alte Bausubstanz verschwindet in großem Stil. Neue Architektur wird errichtet. Größer, höher, voluminöser, grün-und-baum-fressend. Kurz: das kommunale Erscheinungsbild modernisiert sich rasant. Dem architektonischen Wandel inneliegend sind die Folgen der Gentrifizierung in einer Stadt, Verdrängung alter Mieter, Teuerung, Luxus, veränderte Lebens- und Erwartungshaltung.
Die Aufnahmen oben und unten zeigen, wie ein Straßenzug völlig anders aussehen kann.
Die Menschen müssen sich vielerorts in ihrer eigenen Stadt neu zurechtfinden. Oft sind es heute aber neue Bauten, die sich aufs Haar gleichen: Hutschachteln, ohne sichtbares Dach. Fassaden wie Schießscharten. Klinker. Uniformiert. Gleiche Ansichten in jedem Ort genauso. Unisex. Wiedererkennungswert? Gleich null.
Der kommunale Blogger „Paradiesbauer“ schreibt darüber in seiner Heimatstadt Gütersloh und in vielfacher Weise in seinem Blog. Lesenswert, denn hier wird deutlich, wie sich die Veränderung in kleinen Puzzle-Teilchen zu einem großen Bild des Wandels zusammenfügen.
Stadtarchive und VR-Brillen gefragt
Mein Ansatz: Wenn Veränderung schon eine Aufgabe für die Bevölkerung insgesamt ist, mit der sie sich arrangieren muss – wie sehr ist das dann erst eine Aufgabe für Menschen, deren Erinnerung im Schwinden ist? Die sich jeden Tag ein Stück mehr ins Vergessen, in Vergangenheit und damit in die Demenz verabschieden?
Ich kenne diese Herausforderung durch meinen eigenen Einsatz, zehn Jahre, Sorgearbeit bei Demenz.
Und daher wünsche ich mir heute um so mehr: Den Einsatz von VR-Brillen. Die Stadtarchive sind eigentlich gerade besonders gefragt, alte Straßenzüge fotografisch oder in Videobeiträgen festzuhalten, bevor sie auf immer verschwinden. Diese historischen Fotos können dann Grundlage sein für die Übersetzung in virtuelle Stadtansichten, die man mittels der Brille in einer grafischen 360-Grad-Wanderung durchschreiten und erleben kann. Mit der Brille auf der Nase lässt es sich eintauchen, in die vergangene Welt, lässt sich ein Stück Erinnerung beleben und für Augenblicke zurückholen.
Das ist nicht allein Retro-Romantik mit dem Zurück in die frühere Zeit, die vermeintlich besser war. Es ist Erinnerungskultur. Es ist Anerkennung des Werdens und Veränderns. Es ist Sichtbarmachung von Wandel und Fortschritt mit der Erkenntnis, dass Stillstand unmöglich ist. Es ist Verständnis für die eigene Stadt, ihr Sein, ihre Herkunft und Zukunft.
Und es ist eine Brücke der Erinnerung für Menschen, die sich gedanklich und mental genau nur noch dort aufhalten: in der Vergangenheit, aber ihre Gegenwart als beängstigend erfahren, weil sie sich nicht mehr auskennen.
Erinnerung durch einen virtuellen Stadtrundgang aus alten Tagen kann ein Lebenselixier sein für die Menschen mit Demenzerkrankungen sein, die sich dadurch wieder erinnern – und zu erzählen beginnen, wenn sie sonst auch eigentlich oftmals nur noch stumm sind. Ich habe es erlebt beim Durchblättern alter Fotos aus der Stadt – und durfte Zeugin werden eines Strahlen und Lächelns, weil sich die demente Person für Augenblicke wieder zuhause fühlte.
Also bitte: Stadtarchive – werdet digital aktiv.
Ein gutes Beispiel ist das Projekt „timeshift“ aus Düsseldorf: Im Rahmen eines Hackathons wurde die App-Prototyp vorgestellt, welche die Düsseldorfer Musik-, Kunst- und Architekturgeschichte durch Text-, Bild-, Audio-, Video- und AR-Inhalte standortunabhängig und in realen Ansichten im Smartphone darstellt.
Das Gewinnerteam cityscaper hat mit seinem Projekt „timeshift“ überzeugt. Mittels AR Technologie können damit Zeitsprünge bis zu 80 Jahre visuell dargestellt werden und Skulpturen aus der damaligen Zeit in das Hier und Jetzt versetzt werden. Damit wird Geschichte tatsächlich erlebbar und auch ein virtueller Gruß an die Oma ist möglich.
Man muss ja nicht immer alles selbst entwickeln. Aber loslegen sollte man schon. Bevor die Bagger kommen….
Da wir in unseren Wohnungen den Hausarrest verordnet bekommen haben,
müssen auch die Fassaden aussehen wie Gefängnisse.
Die Architektur vereinfacht nur die Repression der Menschen die darin leben und arbeiten müssen.
Da hilft auch keine Virtualisierung mehr, der Bauschaden ist überall sichtbar.
Entschieden: Nein. Wir haben kein Hausarrest, sondern wir bleiben zuhause, weil wir an alle denken und uns und andere schützen. Ich möchte das nicht als Hausarrest verstanden wissen. Aber ja: Die Fassaden sehen den Fronten von Gefängnissen etwas ähnlich, oder aber wie Burgen, die sich nach außen abschotten. – Leider ist Architektur in den Städten eine Frage der wenigen Investoren geworden und nicht eine Frage für die Allgemeinheit. Aber auch an der Stelle möchte ich nicht von Repression sprechen.