Im Grund sind sie es, für die die Zivilgesellschaft gestern beim globalen Klimastreik auf die Straße gegangen ist: Grundschulkinder sitzen auf dem Rasen vor dem Rathaus und hören zu, wie über ihre Zukunft verhandelt wird. Die Generation davor, die im Alter von 16 Plus, hatte den Streik für Gütersloh organisiert. Die #FFF-Bewegung und Aktive in Gütersloh. 2.000 Menschen der Stadt waren dem Aufruf gefolgt. Gemeinsam streiken sie gegen den Klimawandel und fordern Politiker auf, endlich zu handeln.
Bevor ich als simple Chronistin mittels Foto- und Filmimpressionen fungiere, hier einige meiner Gedanken.
Selbstverständlich zirkulierte der Termin und die Einladung zum Streik bereits lange vor dem 20. September in unseren digital vernetzten Zirkeln. Selbstverständlich waren wir als langgediente Aktive sofort bereit, mit zu demonstrieren. Es ist ein Segen, dass Jugendliche auf die Straße gehen, sich politisieren, auf den Punkt bringen, was längst brennt: Unser Klima, unsere Erde, unsere Umwelt. Wir haben sie in den letzten Jahrzehnten besonders in Zeiten der Industrialisierung und Globalisierung mit Füßen getreten. Wir haben sie ausgebeutet und ihren Reichtum und ihre Gaben in unsere hochluxuriösen Lebensstile umgewandelt. Mit allem Komfort, der denkbar war, von Erdbeeren im Winter bis hin zu Kreuzfahrten in alle Nischen und vergoldete Steaks. Nur nicht für alle auf der Welt. Nur für einen Teil.
Wir – wer ist das? Zumindest eindeutig feststellbar: meine Generation der 50 plus und älter. Die Wirtschaftswundergeneration und ihre Erben.
Ich frage mich daher: Dürfen „wir“ als Verursachergenerationen eigentlich mitlaufen, haben wir eigentlich das Recht für Klimaschutz zu demonstrieren? Gegen wen gehen wir da auf die Straße? Doch gegen uns selbst, die wir dieser Wirtschaftswunderzeit angehören. Wir sind es selbst, die profitiert haben: Parents, Grandparents, Menschen dieser Zeit als Wissenschaftler, in Politik, Verwaltung, als Konsumenten, BürgerInnen, alles, was wir beruflich und privat sind, hat dazu beigetragen. Wir haben es bisher nicht auf die Beine bekommen, eine derartige Sensibilisierung für eine zu rettende Erde zu etablieren, die immer unbewohnbarer wird. Wir haben den Klimawandel bisher nicht stoppen können, wir haben ihn hingenommen, seit Jahrzehnten bewusst – wir haben es bewusst versäumt, uns vehement und bis zur Zielerreichung dafür einzusetzen. Wir haben es auch nicht auf die Kette bekommen, die Ungleichheit zu verhindern, die ein Teil der Ursache ist. Wir haben das Teilen in Arm und Reich, in Verlierer und Gewinner beobachtet – uns aber zu lange und zu wirkungsvoll abgelenkt. Dachten, es werde sich schon irgendwie zurechtrücken (lassen).
Jetzt also stehen auch wir Erwachsenen, Eltern und Großeltern, auf dem Platz vor dem Rathaus und unterstützen die skandierten Anliegen der Jungen wie „Recht auf Leben“ und „Wir haben nur einen Planeten“. Ich war überrascht, auch die heimischen Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung im Demonstrationszug der Aufständischen und Plakate vorzufinden. Auch der Bürgermeister zeigte sich präsent, war einer, der gegen den Klimawandel auf die Straße geht, der sein Rathaus verlässt und mit seinen BürgerInnen mitläuft über das Pflaster der Stadt, die keineswegs als klimaneutral gelten darf. Ist man in einer solchen Funktion Klima-Täter und Opfer zugleich? Wie kann man da argumentieren, zumal als Mitglied der CDU, die jahrzehntelang die politische Pusch-Macht gehab hätte, wirkungsvoller die Klimaziele von Paris erreichen zu wollen. Oder der auch die eigens in der eigenen Stadt gesteckten Klimaziele reißt? Ist eine gewisse kognitive Verbrämungskompetenz Voraussetzung für die Teilnahme oder ist das einfach politische Skrupellosigkeit? Gleiches gilt für die Ratsbesetzung, die sich in den letzten Jahrzehnten wenig verändert hat. Viele liefen mit. Wie muss man sich fühlen als Verantwortlicher, wenn 2.000 Menschen vor dem Rathaus demonstrieren und erkennbar machen, dass es eigentlich schon fünf nach zwölf ist für die Handlungsmacht von Kommunen, Nationen und global sowieso? Wo waren, wo sind die Antworten auf die Krise, die längst auch schon keine Klimakrise allein mehr ist, sondern eine vernetzte Herausforderung, die nicht mit einzelnen Antworten zu beseitigen ist. Sondern neue Lösungen sucht, die insbesondere die Systemfrage stellen müsste: Wie wollen wir künftig leben? Auf welche Kosten und ist der Kapitalismus mit seinen Grundpfeilern die richtige Richtung, weil so die Grenzen des Konsums stetig weiter, schneller und höher ausfallen müssen? Diese Fragen sind global zu stellen und lauten gleichermaßen in einer Stadt mit rund 100.000 Einwohnern nicht anders. Aber was will ein Politikstil da ausrichten, der sich etabliert hat in seiner Grundform, die da heißt: nichts Großes verändern, sondern lieber warten, bewahren, immer nur so viel, dass sich niemand auf die Füße getreten fühlt?
Dürfen wir vermeintlichen Verursacher also einfach so mitlaufen bei der Demo, die sich streng genommen gegen uns richtet? Ich kann es nicht beantworten. Ich kann mich nur selbst befragen – wie habe ich mich klimagerecht verhalten? Leider oft nicht korrekt. Und damit erfülle ich das, was sich unsere Generation in den letzten Jahrzehnten bestens hat antrainieren lassen: wir erfüllen gerne und automatisch die Anforderungen des Neoliberalismus – glauben, wir müssten uns nur privat und ganz individuelle verändern, besser werden, moralischer handeln. Weniger Fleisch essen, weniger fliegen, unsere Arbeitgeber doch bitten, mobil oder im homeoffice zu arbeiten, damit wir nicht pendeln müssen. Kann man machen. Ist aber neoliberales Gedankengut im Reinformat. Das sind nette Versuche, möglichst „fassbare“ Antworten zu liefern, Dinge, die machbar scheinen und in unserem eigenen Tun verankert liegen, das Gefühl der Handlungshoheit vermitteln, uns als Akteure ansprechen. Unser „verbessertes“ Verhalten kommt zu spät. Leider ist die Antwort auf die Frage, was jeder Einzelne tun kann, längst nicht mehr relevant. Nichts. Nichts kann jeder Einzelne ausrichten. Die Dimension ist längst größer und mündet auch hier in der Systemfrage, ist Wachstum noch opportun? Sag nicht ich, schreibt Naomi Klein. Dürfen wir so weiterleben wie bisher? Wohl kaum. Und das als gesamte Gesellschaft nicht. Relevante Maßnahmen werden wehtun. Und das macht auch so traurig, dass das bundesdeutsche Klimanotpaket des Klimakabinetts so mickrig daher kommt. Alle wissen es, dass es nur ein kleiner Flickenteppich ist. Aber das Handeln reicht trotzdem nicht weiter. Da werden wohl noch weitere Protestaktionen folgen müssen. Oder ist ein Kipppunkt erreicht, an dem sich die Akteure der Straße eher radikalisieren?
Weg von der Nabelschau, hin zur kompletten Stadt: Vielleicht müsste jeder in einer Kommune einfach wissen, wie genau eine Stadt zur Klimasünderin wird: Wo genau wird welches Maß an CO2 produziert, ausgestoßen, welche Firma ist wie dreckig, welches Handeln fördert welchen Ausstoß und was als Gegenmaßnahme wirkt denn wie – und überhaupt? Es braucht Aufmerksamkeit auf die Dinge, die gesamtgesellschaftlich verändert werden können. Dann wird etwa auch ein Schuh draus, wenn heimische Firmen, auch die Stadtverwaltung, ihren Mitarbeitern frei stellte, an der Demo teil zu nehmen. Sie könnten gleich auch hinterher liefern, ob und wie sie klimaneutral sind oder werden. Wieviel Co2 produziert das Rathaus? Wie klimaschädlich ist Miele? Wie klimaschädlich ist Bertelsmann? Große Player wirken hier vor Ort, viele Mitarbeiter, viele Puzzleteile eines großen Ganzen in der Stadt. Viel System von Konsum und „Weiter so“.
Und nun die Brille als beeindruckte Demo-Teilnehmerin mit einzelnen Eindrücken.
Die Demo begann um kurz nach 12 Uhr. Sinnig. Den Start gab Michelle B. mit ihrer Rede. Ihr Redemanuskript findet sich hier:
Michelle B. spricht hier:
Und damit gleich ein konkretes regionales Projekt, um den Verkehrswahnsinn in Zukunft zu stoppen: Hier schon der Aufruf für die Fahrraddemo am Sonntag, 22. 9.2019, um die 10-Kilometer lange Erweiterung der B 61 in Richtung Bielefeld auf vier Spuren zu verhindern. Bäume sollen fallen und noch mehr Autos auf den Straßen Platz finden. Politik im „weiter so“… ? Waren die entscheidenden Damen und Herren nicht gerade auf der Straße und liefen mit gegen den Klimatod?