Die Küchen werden kollektiv und das Kochen wird digital !

Die Zukunft kommt ohne die herkömmliche Küche aus. Einige Indikatoren sprechen für ihr baldiges Verschwinden. Künftige Küchen werden kollektiv und Kochen wird digital.

Generationen trafen sich in der Küche zum Kochen und Essen. Doch die Existenz der Küche, wie wir Babyboomer sie noch kennengelernt haben, ist out. Immer weniger Menschen kochen, immer weniger Menschen essen zuhause, immer mehr geht der Trend dazu über, keine eigene Küche mehr zu nutzen. Küchen mendeln erst zu Wohnzimmern bis sie zur Küche mit Digitalkocher wird und kochen auf Knopfdruck funktioniert. Lieferungen von Nahrungsmitteln werden normal sein, entweder in Teilen als Zutaten oder als fertige Gerichte – und dann immer mehr an Großküchen anstatt an Privathaushalte.

// Gewohnheiten ändern sich

Diese Veränderung lassen sich schon jetzt in Zahlen fassen:

  • So hat sich etwa die Anzahl der Fertiggerichte/Tiefkühlkost in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt: 2005 lag der Konsum bei 570,00 Tonnen und im Jahrbuch 2015 werden hier bereits 964,4 Tonnen angegeben.
  • Die durchschnittliche Zeitaufwendung je Tag und Alter zur Zubereitung von Mahlzeiten und Hausarbeit in der Küche liegt 2012/2013 bei durchschnittlich allen Personen bei nur noch 00:40 Minuten, bei der durchführenden Person bei 1:02.
  • Die durchschnittliche Zubereitung dauert bei der Generation zwischen 10 und 17 Jahren nur noch 00:35 Minuten für die zubereitende Person noch bei 1:17 Minuten bei der Generation 65 und älter.
  • Dabei sind Männer schneller: sie brauchen in der Ausführung im Schnitt 00:46 Minuten, Frauen ganze 1:12 Minuten.
  • In Deutschland werden nach Angaben von statista nur noch rund 105 Minuten insgesamt am Tag für Essen und Trinken aufgewendet. In den USA, dem vermeintlichen Fastfoodland, sind es 74 Minuten.
  • Auch die Anzahl der zuhause eingenommenen Mahlzeiten verändert sich nach Angaben von statista radikal, so sank diese Zahl in einem Zeitraum zwischen 2005 und 2015 um insgesamt um mehr als 3 Milliarden Mahlzeiten.

// Ursachenforschung

Die Gründe nach dem „Warum wird weniger gekocht?“ sind vielfältig. Die häufigste Antwort ist „keine Zeit“. De.Statista hat 2013 gefragt „Warum kochen Sie nicht?“ Hier die Antworten:

Das Bild zeigt eine Grafik mit den Angaben, warum nicht gekocht wird.
Warum kochen Sie nicht? Quelle: de.statista

„Keine Zeit“, ein Umstand, der sich auch in unserem veränderten Lebensalltag erkennen lässt. Bezogen auf den Lebenszyklus der Menschen wird das Ausmaß der Veränderungen ebenfalls schnell deutlich:

  • Bereits Kinder und auch Kleinstkinder essen in der Kita. Sie beginnen dort mit dem Frühstück, essen den 10 Uhr-Snack in der Gemeinschaft, das Mittagessen wird meist aus Großküchen geliefert, der Nachmittagskuchen ebenfalls. Höchstens abends gibt es dann noch das schnelle Butterbrot im eigenen Zuhause. Dazu muss man nicht mehr kochen.
  • Auch Schüler und Studierende essen nicht mehr zuhause. Die Mensa ersetzt den heimischen Herd. Oder aber die vielen Schnellimbisse oder Fastfoodketten mit mehr oder weniger gutem Essen werden täglicher Versorger dieser Gruppe.
  • Die Arbeitnehmer pilgern mittags in Restaurants oder Betriebskantinen – oder ebenfalls zur Fastfoodkette. Und weil abends Freizeit, Hobby oder Anschlusstermine anstehen, bleibt oft nur der schnelle Happen – auch gern außer Haus.
  • Die Anzahl der Menschen in Seniorenheimen steigt, sie essen ebenfalls im „Gemeinschaftsraum“. Kochen ist dann höchstens noch eine therapeutische Maßnahme gegen demenzielles Abbauen oder zur Erhaltung der Feinmotorik der Hände, findet dann aber in einer kollektiven Küche statt und nicht mehr der eigenen. Die Anzahl der Menschen, die als ältere und pflegebedürftige ihr Essen auf Rädern bekommen, steigt.
Das Foto zeigt eine Küchenzeile mit Fußboden.
Küche im Wandel

So verdrängt unser Alltagsleben, unser Lebenszyklus die Küche aus dem Mittelpunkt. Das Herdfeuer leuchtet an anderen Orten. Immer weniger bekommen es zu Gesicht.

// Kinder gewöhnen sich an Essen außer Haus 

Das zeigen auch die Ergebnisse einer Gemeinschafts-Studie der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. (BVE) mit der Gesellschaft für Konsumforschung GfK Consumers‘ Choice ’15, die im Rahmen der Anuga am 9. Oktober 2015 in Berlin vorgestellt wurde. Ein Fazit vorweg: „Zu Hause wird immer seltener gegessen“.

Weiter heißt es hier: „Frühstück und Mittagessen verlagern sich immer häufiger vom heimischen Tisch nach draußen. Die gestiegene Erwerbstätigkeit und Mobilität sind hier wesentliche Einflussfaktoren. Die größten Veränderungen sind dabei nicht etwa bei den Erwachsenen sondern bei den Kindern und Jugendlichen festzustellen. Von den 3-5jährigen frühstückten beispielsweise vor 10 Jahren noch 77 Prozent zu Hause, heute sind es nur noch 67 Prozent. Das Mittagessen aßen vor 10 Jahren noch 69 Prozent der Kleinen zu Hause, heute sind es nur noch 41 Prozent. Die Essrituale der jungen Generation werden dadurch zunehmend selbstbestimmt und die Bedeutung einer verantwortungsbewussten Ernährungsbildung wächst.“

// Form follows function 

Wenn sich die Gewohnheiten des Essens und Kochens ändern, ändert sich auch die Küchennutzung, ändert sich auch die Form an sich. Den ersten Zwischenstand haben wir bereits erreicht: Küchen sind heute Lebensräume. Selbst in der Werbung steh der Aspekt Leben im Mittelpunkt, nicht mehr das Kochen an sich.

Küchen nehmen Raum ein, wer ein Haus plant, muss immer auch eine Küche mit ihren speziellen Erfordernissen der Versorgung mit Wasser und Anschlüssen im Blick behalten. Wer Mehrfamilienhäuser plant, denkt dabe nicht an eine Küche, sondern an viele Küchen. Das kostet. Küchen sind ein Kostenfaktor. Zwar boomt der Küchenkonsum gerade noch, die Käuferschicht ist eher wohlhabend und in einer fortgeschrittenen Lebensphase gut situiert – für sie ist das Kochen ein Hobby, ein Event mit Freunden und auch ein Genießen ihrer Möglichkeiten. Die neuen Formen des „Familienlebens“ aber wie Ganztag, Frauenerwerbstätigkeit, Mobilität, Pendler, benötigen eher die Form der kollektiven und der schnellen Küche – nicht die der privaten Hochglanzküche, die ihre volle Funktionalität nur noch als verabredetes Koch-Event mit Champuslaune auslebt.

// Kollektive Küche

Kollektive Küchen finden ihren Platz zunehmend in den neuen Wohnformen des Zusammenlebens. Ein Beispiel ist etwa das CoHousing. Es wird schon mehrfach ausprobiert, u.a. in Köln. Das Prinzip beruht auf dem des Teilens: Mehrgenerationenquartiere entstehen, die für die einzelnen Wohnungen kleine Quadratmeterzahlen aufweisen, weil der größte Teil des Alltags in Gemeinschaftsräumen stattfindet. Hier entsteht eine Großküche, in der alle Bewohner gemeinschaftlich versorgt werden. Das spart Zeit und Platz und Räume für ein neues Zusammenleben. Eigentlich ganz archaisch.

Die Vorläufer dieser Art von Gemeinschaft haben wir als Urmenschen noch im Blut aus der Zeit, als wir alle noch gemeinsam ums Feuer saßen. Aber kollektive Küchen sind auch jetzt wieder vorhanden, ohne, dass wir sie so wahrnehmen: in der Kantine, im Restaurant, in der Fressbude an der Ecke. 

// Marketing denkt schon um

In den Möbelhäusern am Stadtrand beansprucht das Konzept „Küche“ noch viel Raum. Aber sie werden anders präsentiert, Küchen sind vom Äußeren immer wohnzimmerlicher, es macht keinen Unterschied, ob ich einen Küchenschrank öffne oder einen Schrank im Wohnzimmer. Der große schwedische Möbelhersteller etwa zeigt in seiner VideoWerbung von Küchen keine Zubereitung von Essen mehr, sondern vielmehr das, was dort stattfindet: Leben. Bilder vom Wassermalkasten bis zu Partys und höchstens noch ein Verzehr von fertigem Toast beim Radfahren durch die Wohnung flimmern über den Bildschirm. 

// Fertigung denkt um – nur langsamer 

Wenn Küchen sich dem Lebensstil anpassen, werden sie in einer moderneren Form gebraucht als sie jetzt produziert werden. Die Fertigungsstraßen von Küchen können heute zwar individualisiert produzieren, eine Küche auf Wunsch geht nach knapp drei Tagen auf den LKW und wird passgenau ausgeliefert. Diese Produktion ist aber endlich. Es ist zu viel dran und drum und zu wenig kompakt digital.

Ein ostwestfälischer Küchenproduzent setzt bereits auf den Bau von Küchengeräten XXL. Auf den ersten Blick sind diese für den amerikanischen Markt befähigt – sie taugen aber auch für den oben beschriebenen Ansatz der kollektiven Küchen, die mehrere Menschen versorgen. Oder aber gänzlich für die Küche außer Haus, also in der Kantine, in CoHousingProjekten oder WGs etc. Die werden jedoch in kleinerer Zahl gebraucht als die individuelle Küche von heute. Auch hier dämmert es: die analoge Küche nach heutiger Sicht läuft langsam vom Band.

// Künstliche Intelligenz ersetzt Kochlöffel

Was aber ist mit der Veränderung, die man nicht sofort sieht: etwa den Einbau von immer mehr Algorithmen in den Geräten, die wir nutzen. Schon heute sind die Einbaugeräte digital, sie funktionieren auf Knopfdruck. Und werden künftig noch digitaler werden. Roboter und künstliche Intelligenz halten Einzug, sie SIND dann die Küche. Es reichen Maschinen – das Drumherum wird uninteressant. Die Rede ist schnell von Internet of Things: unsere Küchengeräte sind vernetzt, sie kommunizieren miteinander, lernen womöglich. Vielleicht sind sie bald sogar in der Lage, unsere Lieblingsgerichte zu speichern oder sogar zu planen. Auf jeden Fall aber werden unsere Daten zu unserem Essverhalten gespeichert und an anderer Stelle analysiert, egal, ob im verbleibenden Küchenblock oder in der Kollektivküche.

Das Foto zeigt ein Küchengerät.
Knopfdruck genügt

Einen ersten Eindruck von „kompakten Küchen“ vermitteln die heiß begehrten Thermomix-Geräte. Bisweilen hochpreisig in die Behausungen der gehobenen Klasse verkauft, bahnen sie sich nun durch den Nachbau auf Aldi-Ebene auch ihren Weg auf die Anrichten der Normalverdiener: Oben Zutaten hinein, Rezept per Wischbedienung ausgesucht, die dem Smartphone ähnelt, Programm programmiert und dann mixt, rührt, gart, kocht und präsentiert das Edelstahl-und PlastikWunderwerk die fertige Mahlzeit während der Zubereiter schon mal Sinnvolleres betreibt. Den Kochlöffel muss niemand mehr schwingen. Was der Kochlöffel aber gerührt hätte, das bleibt als Datenspur zurück.

// Essen auf Rädern und Tastatur

Wem das alles immer noch zu umständlich ist, bestellt. Online. Bequem. Essen auf Rädern war seinerzeit noch verpönt als Halbgares und Lauwarmes für die Älteren unter uns, die sich nicht mehr selbst versorgen konnten.

Essen auf Rädern hat sich heute aber gemausert: vom frischegarantierenden Lieferdienst vieler Supermärkte, die Bestelltes als Einzelteile vor die Haustür stellen bis hin zum Bringedienst von Essen nach Wahl. Die Zahl der Anbieter ist enorm. Insbesondere die junge Generation hat diese Nummern in ihren Smartphones gespeichert – und sie nutzen sie. Nicht nur bei nerdigen WLAN-Partys, sondern auch im real life. Der PizzaBote oder der Bringedienst sind feste Bestandteile ihres Daseins geworden, zudem noch simpel bezahlt per Paydienst, bargeldlos online. Noch mehr Daten, die wir hinterlassen.

// Schrott wird chic 

Auch ein weiterer Trend bringt den Tod der Küche vom Band: Upcycling ist nicht nur Mode, sondern drückt eine ganz neue Haltung aus im wachsenden Konsumwahn, dem immer mehr Bewusste den Rücken zukehren. Möbel und vermeintlicher Schrott erleben ihre Renaissance, wenn sie als Bestandteile von Küchen neu zusammengesetzt werden. Auf diesen alten Holzgestellen oder sonstigem findet auch jedes digitale Kochgerät Platz. Auch ein Thermomix. Individueller geht es dann schon fast nicht mehr.

Denkt man also an disruptive, an kreative zerstörende Geschäftsmodelle, dann rückt auch diese Entwicklung in den Blick. Küchen sind hochgradig nutzergetrieben, so dass sich ihre Hersteller mehr denn je diesem Move anpassen müssen. Ihre Geldquelle wird nicht mehr die Küche sein oder das Kochen, sondern die Vernetzung der Essgewohnheiten und die Vorlieben der Individuen in Ernährungsfragen.

Küchen als Kulturgut alter Gattung können vom digitalen Wandel genau so geschluckt werden, wie jedes andere alte Geschäftsmodell, das heute noch für Cash in den Kassen sorgt. Wer hier weiter mitkochen will, muss aufpassen, dass ihm nichts anbrennt. Und die ehemaligen Nutzer von Küchen und mittlerweile digitalen Kocher sollten sich alsbald dafür interessieren, was aus ihren Daten zusammengekocht wird, wenn Mensch und Maschine in der neuen Küche zusammensitzen. Am digitalen Lagerfeuer.

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