Neun Neue stellen sich Fragen der Zivilgesellschaft

Das neue Befragungsformat der neun Gütersloher Initiativen Demokratie wagen!, GNU, Fridays for Future, Parents for Future, Stadtschulpflegschaft, AG Verkehrswende, AK Asyl, AG Energiewende und Attac hat am Samstag eine Premiere bestanden. An die einhundertfünfzig Zuhörer aus Öffentlichkeit, Parteien und Initiativen hörten den Antworten der aussichtsreichen neuen Ratskandidaten der FDP, der GRÜNEN, der LINKEN und der SPD aufmerksam zu.

Die aus Zeitgründen nicht zur Sprache gekommenen Fragen der Initiativen wurden ihnen als Kompendium für ihre 5-jährige Ratsarbeit mit auf den Weg gegeben!

Die CDU, BfGT (Bürger für Gütersloh) und die UWG (Unabhängige Wählergemeinschaft) haben unsere Einladung ausgeschlagen. Ihre Stühle blieben leer.

 

 

Der Kommunalwahlkampf 2020 in NRW war bisher gekennzeichnet durch: nichts Neues. Außer Wahlplakate, ein paar Flyer im Briefkasten und die obligatorischen Infostände der Parteien bleibt es still. Corona ist ein Grund. Der andere ist, dass das Augenmerk des Wahlkampf wenn, dann auf den Kandidaten für den Posten des Bürgermeisters oder des Landrates liegt. Das ist leider eine Verengung der Perspektive auf lediglich die Stadtspitze, die zudem ganz andere Aufgaben hat als die politischen Fraktionen im Rat.

Die Ratskandidaten als Repräsentanten jedoch geraten dabei aus dem Fokus. Und dass, obwohl der Rat und seine Mandatsträger gerade eine sechseinhalbjährige Amtszeit hinter sich haben. Die letzte Wahl auf kommunaler Ebene war im Mai 2014. Eine Verlängerung der Ratsperiode war auf Landesebene NRW erwirkt worden: Die bis dahin getrennten Termine für die Wahlen zum Rat und zu den Bürgermeistern sollte doch wieder zusammen fallen. Ein ewiges Hin- und Her der politischen Gruppierungen auf Landesebene ging dem voraus.

Jetzt wäre es also um so dringender geboten, die neuen Kandidaten zu befragen, wer sie denn eigentlich sind und wofür sie denn eigentlich stehen.

 

Geschlossene Wahllisten in NRW machen es schwer 

Die Wähler in NRW haben bei der Kommunalwahl für den Rat nur eine Stimme. Die Listen der Nominierten werden dabei von den Parteien aufgestellt, denn sie haben das Recht, ihre Kandidaten in einer bestimmten Reihenfolge (der Reserveliste) aufzustellen und in dieser festen Rangfolge den Wahlberechtigten zu präsentieren. Die Wählerschaft hat auf diese Rangfolge aber keinen Einfluss. Diese Reihenfolge aber, die die Partei für ihre Wahlliste beschlossen hat, entscheidet darüber, wer nach den Wahlen ins Parlament einzieht. Ein wenig transparentes Vorgehen, bei dem die Nicht-Parteimitglieder, also die ganz große Mehrheit einer Stadt, ausgeschlossen bleibt.

Bei der Durchsicht der Reservelisten der Parteien zeigt sich zugleich bei fast allen Fraktionen: Auf den sicheren ersten Plätzen treten fast ausnahmslos die „alten Hasen“ wieder an. Für sie würde eine Wahl oft die dritte oder auch vierte Amtsperiode bedeuten. Nicht selten kommen Kommunalpolitiker auf eine Ratszugehörigkeit von bis zu 30 Jahren und mehr. Von Wandel und Wechsel will hier niemand mehr sprechen.

Warum schreibe ich so ausschweifend darüber? Weil wir als Community uns nicht an die Rangfolge der Wahllisten halten wollten. Wir wollten die „Neuen“ befragen und kennenlernen. Unser Fokus lag auf ihren Ideen und Einstellungen – und ist verknüpft mit der Vorstellung, sie werden andere Lösungs-Wege für die zahlreichen Herausforderungen der kommenden fünf Jahre beschreiten als das, was wir in den letzten Jahren an Politik erlebt haben.

 

Wir wählen, damit gerade ein demokratischer Wandel der politischen Mandatsträger gewährleistet werden kann. Wechsel und Wandel sind demokratisch. Doch mit der Listenaufstellung halten die Parteien starke Zügel in der Hand, sie bestimmen in NRW immer noch, wer auf die vorderen Plätze in den Rat einziehen wird – und wer nicht. Leider fehlt im Wahlrecht NRW die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens. NRW ist mit dem Saarland und Schleswig-Holstein zusammen das letzte Bundesland, die sich eisern an geschlossene Wahllisten halten, den Bürgern bei der Wahl eben diese besondere Möglichkeit des Häufelns und Verteilens nicht einzuräumen. Mit diesem Instrumentarium aber wäre auch ein Handwerkszeug in Bürgerhand gelegt, mit dem man Listenaufstellungen beeinflussen kann.

Man darf hoffen, dass sich NRW bis zur nächsten Kommunalwahl eben auf diese moderne Weiterentwicklung verständigen kann.

 

Wir gehen einen eigenen Weg: Fragen direkt

Wir von der Initiative „Demokratie wagen!“ und den acht weiteren Initiativen dachten uns also – wir umgehen die Rangliste und sprechen direkt die „Neuen“ als Bewerber um ein Ratsmandat an. Veränderung kommt durch visionäre Menschen – wir machten uns auf die Suche.

Diese Direktansprache sorgte im Vorfeld für viel Wirbel: Nicht alle Parteien zeigten sich offen für den Wunsch, dass wir die „Neuen“ befragen wollten – und nicht die geübten Ratsleute.

 

 

Viele Gespräche fanden im Vorfeld an den Infoständen der Parteien in der Innenstadt statt. Gründe für die Absagen: Die UWG hatte nur einen aussichtsreichen neuen Kandidaten – der stecke in Prüfungsvorbereitungen, hieß es. Die BfGT zeigte sich erst offen, dann wieder nicht, schließlich war sie durch Terminüberschneidungen doch verhindert. Die CDU zeigte sich regelrecht ungehalten, das Format mit den vorab versendeten 92 Fragen sei eine Unverschämtheit. Auch das Format sei eine Frechheit, man nehme nicht teil. Auf unsere Bitte, doch eine kurze schriftliche Begründung zu formulieren, die wir in der Öffentlichkeit würden verwenden dürfen, hieß es: „dazu ist alles gesagt.“ Aus „gut unterrichteten Kreisen“ vernahmen wir als Initiativen, dass unsere Einladung innerhalb der CDU sehr kontrovers diskutiert wurde. Einige wollten, die Entscheider in der Fraktion aber nicht. Schließlich siegte wohl der Fraktionschef (alt) und unterband jede Regung, teilnehmen zu wollen, so war zu vernehmen. Wir hoffen, die Neuen in den Reihen der CDU werden schnell flügge und selbstbewusst.

 

92 Fragen im Vorfeld aus neun Initiativen 

Es brauchte Mut, auf die politische Bühne zu gehen: Die  Initiativen GNU, Fridays for Future, Parents for Future, Demokratie wagen, Stadtschulpflegschaft, AG Verkehrswende, AK Asyl, AG Energiewende und Attac hatten ihre 92 Fragen bereits vorab formuliert und offen ins Netz gestellt. Die Themenbreite zeigte sich von Klimawandel, Bürgerbeteiligung, über Digitalisierung, Asyl, Artenvielfalt, Mobilität, Energiewende bis hin zu Gesundheit und Kultur. Wer welche Frage bekam, entschied das Los. (Übrigens verlief die Veranstaltung unter strenger Einhaltung der AHA-Regeln – wir haben Verantwortung füreinander übernommen!)

 

92 Fragen – ein Auftrag für die nächsten 5 Jahre Ratsarbeit.

 

“Endlich Wahlkampf mit echten Menschen”, freute sich ein Zuhörer. Rund einhundertundfünfzig Interessierte waren am Samstag der Einladung von neun Gütersloher Initiativen ins Parkbad gefolgt. Neun neue Bewerber und Bewerberinnen der SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen für den Rat standen Rede und Antwort.

Als Anwärter für den Rat schlugen sich bestens vorbereitet und in den Themenfeldern kenntnisreich: Camilla Cirlini, Margrit Dorn (Linke), Sabine Hollmann, Stefan Bethlehem, Sebastian Sieg (SPD), Dr. Antonia von Hirsch, Markus Reiferscheid (FDP), Ines Böhm, Dr. Martin Noack (Grüne).  

 

 

Dem Klimaschutz als eines der zentralen Themen möchten alle KandidatInnen in der kommenden Ratsperiode besondere Rechnung tragen. Die unterschiedlichen Positionen blieben sichtbar, ebenso wie die jeweiligen Herangehensweisen thematisiert wurden.

 

 

Fragen aus dem Publikum berührten ebenfalls den Klimanotstand in Gütersloh und auch mangelnde Angebote an veganem Essen sowie die Unterbringung von Flüchtlingen in gemeinsamen Wohnprojekten mit Studierenden inmitten der Stadt. Auch das Busstreckennetz, das in seiner jetzigen Form den Bedürfnissen vieler Bürger*innen nicht gerecht wird, stand zur Diskussion. Die Einrichtung eines ‘Bürgerrats’ wurde kontrovers diskutiert und von einigen Kandidaten positiv als eine neue Beteiligung von Bürger*innen bewertet.

 

Fragen wurden per Los aus 11 Themenfeldern gezogen.

 

Nicht alle der 92 Fragen konnten in den zwei Stunden eine Antwort finden – die Initiativen werten den Fragekatalog vielmehr als Arbeitsauftrag bis 2025. Kurt Gramlich, der mit mir zusammen durch die Fragerunden führte, sagte: “Unsere Fragen bleiben aktuell. Wir verstehen sie als roten Faden für die Zukunft der Stadt”.

 

Insgesamt traf das Format des “Kennenlernens und ins Gespräch kommen” das Interesse des Publikums und offensichtlich auch das der vielleicht “Neuen” im Stadtrat. Die vielfältigen Positionen und der erkennbare Wunsch, frischen Wind in die Kommunalpolitik in Gütersloh zu bringen zeigt, dass eben nicht nur die Bürgermeisterkandidat*innen Ideen für die Zukunft der Stadt zu bieten haben. Politik auf Augenhöhe mit der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung gelingt besonders gut, wenn Formate bereitstehen, in denen nachgefragt werden kann und ein gemeinsamer Dialog seinen Platz findet.

 

Die Idee, die sich anschließen könnte: nachfragen. Vielleicht in einem Jahr? Was ist aus den Fragen und Antworten geworden…

 

Fotos: Jürgen Zimmermann, Michelle Sbrzesny, Anke Knopp

 

 

2 Kommentare Füge deinen hinzu
    1. Vielen Dank für den Kommentar und den Link. Wir wissen nicht, was wir als Demente noch mitbekommen – und was nicht. Auf jeden Fall bleibt das „Gefühl“. Vielleicht nicht mehr Scham, aber ein Ansinnen von menschenwürdig und menschenunwürdig wird bleiben. Zudem sollen wir ja möglicherweise unsere „Denkfähigkeit“ auf ein überlebendes Trägermedium migrieren lassen – dieses Trägermedium kann dann immer noch für uns etwas „mitkriegen“, von dem, was um uns herum so mit uns passiert. Bei allen Überspitzungen und Warnungen vor digitalen Hilfsmitteln möchte ich doch, dass jeder sich klar werden muss, dass sich andere Menschen um uns kümmern müssen, wenn wir es nicht mehr können. Zu welchen Konditionen und unter welchen Umständen, darüber möchte ich frühzeitig sprechen. Das sage ich auch in meinem Buch über Demenz und den Einsatz von KI.

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