Politik „handlungsfähig“

Kommunale Politik wäre handlungsfähigER, wenn es endlich auch grundsätzlich digitale Gremienarbeit gäbe. Per Gesetz geregelt. Mit Online-Konsultation, mit Öffentlichkeit, mit digitaler Abstimmung, mit Streaming, mit Speichern und jederzeit Abspielbarkeit. – Das wäre mein modernes Verständnis von E-Government, das eben nicht nur Verwaltungsdienstleistungen onlinefähig machen soll. Sondern auch politische Arbeit in den Kommunen.

Soweit aber sind wir nicht. Auch nach einem knappen Jahr Erfahrung mit der Pandemie Corona nicht. Die letzten Monate wurden nicht genutzt, den politischen Apparat ausreichend digital leistungsfähig zu gestalten. Obwohl eine lange Pandemie absehbar war, denn wir wussten früh über eine zweite Welle Bescheid.

Noch Präsenz in Coronazeiten – Zoom fehlt

Die Realität sieht leider so aus:

Der Bürgermeister einer Mittelstadt in NRW erklärt, Politik sei trotz der Lockdown-Maßnahmen handlungsfähig. Und setzt die Ausschuss-Sitzungen für Januar ab. Dennoch werde kein Thema verloren gehen, so erklärt es BM Norbert Morkes aus Gütersloh. Kontakte sollten weitgehend eingeschränkt bleiben, er verweist auf den Erlass vom 11. Januar 2021 des Landes NRW.

Ein Austausch der Fraktionen sei online auf verschiedenen Ebenen möglich. Auch die anstehende Sitzung des Rates ist betroffen. Es geht um nichts Geringeres als die Einbringung des Haushaltes für 2021. Und es wäre das erste Mal, dass der neu gebildete Rat hier seine vielfältigen Positionen einbringen könnte. Doch die Mandatsträger sind angehalten, möglichst wenig zu sagen. Auch die Haushaltsreden der Kämmerin und des Bürgermeisters selbst fallen weg – ihre Reden werden lediglich online eingestellt. Lange Diskussionen seien zu vermeiden. Politik und Verwaltung sollten Vorbilder sein für wenige Sozialkontakte im Rahmen der Pandemie. Die Reduzierung von Sitzungen und Online-Vorabstimmungen seien passende Mittel und werden auch im Februar in die Anwendung kommen. Die Politik habe es selbst in der Hand, die Dauer der Abstimmung zu bestimmen. Die Sitzungen werden im Livestream verfolgbar sein.

Der Bürgermeister hält sich dabei streng ans Gesetz. Und ein weiterer Baustein kommt hinzu, der diesem fatalen Trend in die Hände spielt:

Meldung vom 20.1.2021 des Städte- und Gemeindebundes NRW zur Durchführung von Sitzungen:
Digitale Rats- oder Ausschusssitzungen sind nicht in der Gemeindeordnung NRW (GO NRW) verankert und von daher aus verschiedenen Gründen während der Corona-Pandemie keine rechtlich zulässige Alternative zu Präsenssitzungen.

Dagegen spricht zunächst der in der GO NRW verankerte Öffentlichkeitsgrundsatz. Danach muss grundsätzlich eine Teilnahme an diesen Sitzungen für Interessierten möglich sein. Bei nichtöffentlichen Sitzungen gibt es nach der GO NRW keine Kontrollmöglichkeit, um ein Mithören von Dritten oder sogar ein Aufzeichnen der Sitzung zu vermeiden. Da nur aus bestimmten Gründen ausnahmsweise eine nichtöffentliche Sitzung durchgeführt werden darf, muss die Geheimhaltung der Inhalte aber gewährleistet werden können.

Zudem hält die GO NRW die Möglichkeit von geheimen Abstimmungen vor. Derartige Abstimmungen sind aber nur für Präsenzsitzungen denkbar.

Je nach dem gewünschten Videokonferenzprogramm könnten darüber hinaus auch noch datenschutzrechtliche Schwierigkeiten hinzutreten.

Aufgrund der beispielhaft aufgeführten Schwierigkeiten sind digitale Sitzungen generell nicht möglich – weder für öffentliche noch für nichtöffentliche Sitzungen.

Nach der Einschätzung des zuständigen Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW (MHKBG) sind die gegebenen Möglichkeiten (Delegation auf den Hauptausschuss oder Pairing-Vereinbarung) für den Umgang mit Sitzungen während der Pandemie ausreichend. In diesem Zusammenhang weist die Geschäftsstelle auch nochmal auf den Erlass des MHKBG zur Sitzungsdurchführung kommunaler Gremien in Pandemiezeiten hin (vgl. Schnellbrief Nr. 19/2021). Die Sitzungen der kommunalen Gremien sind auch weiterhin in der CoronaSchVO von einem Versammlungs- / Veranstaltungsverbot in § 13 ausgenommen.

Weiterhin gilt aber der Grundsatz, dass so wenig Sitzungen wie möglich stattfinden sollen. Die Sitzungen sollen nur bei inhaltlich notwendigen Entscheidungen, die nicht verschoben werden können, stattfinden.“

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So weit die Ansage vom Land und vom Städte- und Gemeindebund NRW.

Kommunal-Politik muss digitaler werden

Ein Gebot der Stunde, das mittlerweile überfällig ist. (Exkurs: Lustigerweise auch vor dem Hintergrund der gerade erlebten Bewerbungsrede von Ministerpräsident Armin Laschet aus NRW zum Vorsitzenden der CDU-Bundespartei. Hier jubiliert er, wie digital die CDU sei. Das bitte auch durch und durch auf Kommunalpolitik übertragen!)

Wir von Demokratie wagen haben also ein Statement gegen die Entscheidung in der Stadt Gütersloh eingereicht:

„Was sonst sollte ein Bürgermeister verlautbaren in einer Zeit der Pandemie: Dass Politik etwa nicht mehr handlungsfähig wäre?

Es ist die grundsätzliche Aufgabe von Staat und Verwaltung, ihre Arbeit gerade auch in Krisenzeiten hoch effizient, demokratisch, verantwortungsvoll und weitsichtig auszuführen. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist dabei ein sehr hohes Gut in der Gemeindeordnung von NRW.

Wir wünschen uns daher, dass die zuständigen Gremien regulär tagen. Dies online und mit der Möglichkeit der öffentlichen digitalen Teilnahme. Abstimmungen könnten dann im Laufe der Sitzung per “Textform” erfolgen.

Diese Art der Abstimmung hat bereits schon einmal gegriffen und zwar bei einem viel gewichtigeren Vorgang: In der ersten Welle der Pandemie im März / April 2020 hatten die Ratsleute per Textform (E-Mail) zugestimmt, dass künftig der Hauptausschuss die Aufgaben des Rates übernehmen werde, weil hier weniger Mandatsträger präsent aktiv seien als im Rat.

Vor diesem Hintergrund hatte sich der Ältestenrat seinerzeit dafür ausgesprochen. Voraussetzung war, dass zwei Drittel der Ratsmitglieder einer Delegation an den Hauptausschuss zustimmen. Das Votum dazu wurde von den Ratsmitgliedern online eingeholt. (Website der Stadt vom 16.4.2020)

Mit dem Ziel einer möglichst konzentrierten und kurzen Sitzungsdauer wollte die Stadt damals schon anregen, die Tagesordnungen und damit den Ablauf der Sitzungen auf das Notwendige zu reduzieren. Dazu gehöre auch, dass die Fraktionen zu jedem Tagesordnungspunkt möglichst nur einen Wortbeitrag leisten sollen. Danach sollte die Abstimmung erfolgen. Ein ähnlicher Vorschlag liegt also nun wiederholt auf dem Tisch.

In Gütersloh hatten im letzten Jahr mehr als 2/3 der Mitglieder des Rates der Übertragung der Entscheidungsbefugnisse vom Rat auf den Hauptausschuss gem. § 60 Abs. 1 Satz 2 GO zugestimmt, so das Büro des Rates.

Ferner erläuterte das Büro des Rates: Die für die Stimmabgabe geforderte Textform unterliegt geringeren Anforderungen als die Schriftform. Ebenso wie ein Telefax oder ein Brief erfüllt auch die E-Mail das gesetzliche Merkmal „Textform“. Insofern erfolgte die Stimmabgabe der Ratsmitglieder durch eine schriftliche Erklärung per E-Mail.

Warum kann man dieses Verfahren nicht auch jetzt in der Abstimmung anwenden? Wir sind nun schon fast ein Jahr weiter und erfahrener im Umgang mit digitalen Handwerkszeugen. Nur in der Politik nicht?

Zudem wird dem jungen Rat, weil gerade erst gewählt, die Chance genommen, ausgerechnet in der Königsdisziplin der Haushaltsdebatte, seine differenzierten Positionen zu vertreten. Es gibt nun nur eine Gremiumssitzung light mit vorausgehender Absprache ohne Öffentlichkeit, in der nun alle angehalten sind, möglichst wenig bis nichts zu sagen. Wenig bis nichts sagen aber ist das Gegenteil von Demokratie. Demokratie lebt vom öffentlichen Aushandeln. Ihr Wesenskern ist damit in Frage gestellt. Die Mehrheit der Ratsmitglieder verhält sich merkwürdig still, da sie diesem Verfahren offenbar zugestimmt haben.

Wir brauchen die gesetzliche Möglichkeit, Rats- und Gremienarbeit künftig digital abzuhalten, abstimmen zu können und die Öffentlichkeit in Gänze zuzulassen. Wir vermissen den Einsatz für eine solche verbindliche Regelung. Wer weiß, wie lange die Pandemie noch anhält.

Außerdem erinnern wir noch einmal an den digitalen Bürgerhaushalt. Immerhin hat er uns drei Jahre und drei Haushalte begleitet und zeigte gute Ergebnisse: Hier war die Einbringung von Beginn an transparent. Jeder Teilnehmer hatte die Möglichkeit, digital in den Haushalt hinein zu schauen. Er war gut verständlich aufbereitet. Jeder Bürger hatte die Chance, eigene Eingaben einzubringen, Vorschläge zu machen, Fragen zu stellen, zu kommentieren, zu diskutieren. Öffentlich! Anschließend gingen die Vorschläge aus der Bürgerschaft in die Ausschüsse zur Beratung. Leider wurde dieses digitale und vorausschauende Handwerkszeug von Verwaltung und Politik im Laufe der Jahre in Gütersloh angefeindet und dann schnell wieder abgeschafft. Der Bürgerhaushalt aber war der Zeit weit voraus, hätten wir ihn beibehalten, wären wir in der Pandemie besser gewappnet für das Beibehalten des demokratischen Diskurses.

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Wir brauchen eine moderne Kommunalpolitik, die nicht gerade dann durch technisches Versagen oder unzureichender gesetzlicher Grundlagen die Segel streichen muss, wenn sie am dringendsten gebraucht wird.

Lasst uns das angehen. Nicht nur in Gütersloh gibt es dieses Problem.

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