SPIN – Künstliche Intelligenz auf Theaterbühne

Sie heißt „Spin“. Das ist die Bezeichnung für der Eigendrehimpuls von Teilchen in der Teilchenphysik. Hier auf der Bühne aber ist sie ein Cyborg, menschlich und doch roboterhaft gezüchtet durch Künstliche Intelligenz in der Petrischale. Geht bisher nicht. Aber für die Bühne ein wunderbarer Einstieg, wenn das Thema „KI“ oder „AI“ in die Welt will. Spin ist das gleichnamige Aufrags-Theaterstück, welches von David Gieselmann anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Uni Bielefeld geschrieben wurde.

Titelfoto des Programmheftes, Theater Bielefeld

 

Spin ist sehenswert. Nicht nur für Kenner der Uni-Geschichte oder Uni-Interna. Sondern, weil die Thematik „KI“ rockt und uns alle angeht. Wie weit werden Roboter und ihre künstliche Steuerung in unser Leben eingreifen? Längst sind sie in der freien Wildbahn unterwegs, die schlauen Assistenten. Zudem liefert gerade das CITEC als Excellenzcluster der Uni für kognitive Interaktionstechnologie Projekte, Produkte und Diskussionsstränge. Aus den Laboren ganz hinten auf dem Campus entspringen Wesen wie der Avatar Flobi, die eine breite gesellschaftliche Debatte geradezu verdient haben.

Mit Spin steht eine Cyborg-Frau auf der Bühne, ihr orangenes Kostüm erinnert an Kinderzeichnungen, die die menschlichen Konturen verschwinden lassen unter eher logischer Dreiecksform. Sie bewegt sich wie ein Roboter – ich fürchte, diese stockenden Bewegungen werden der wunderbaren Schauspielerin Leona Grundig ins Fleisch übergegangen sein. Später beim Verbeugen vor viel Applaus und Zuspruch aus dem zumeist sehr jugendlichen Publikum gelingt es ihr kaum, die ruckartige Bewegung aufgelöst aufzugeben.

Wir streifen im Stück „Genialität“ gepaart mit „krimineller Energie“ der Erfinderin der Androidin: Regula Simon, als Biochemikerin. (Im wahren Leben heißt die Schauspielerin Doreen Nixdorf, was nicht ganz unkomisch ist.) Sie verdoppelt sich als Dozentin in mehreren Fächern gleichzeitig, unter Nutzung jeweils anderer Namen aber ohne akademische Weihen und Zulassung, nutzt diese Bündelung, um ein millionenschweres Forschungsprojekt an Land zu ziehen, bastelt also Spin. Spin ist wie ihre Tochter, beide einig in der Unfähigkeit zur Liebe. Spin ist ein Roboter, in der Lage, gleichzeitig drei Bücher zu lesen und sich die Frage unbeantwortet zu stellen, was „draußen nur Kännchen“ bedeutet. Ihr Algorithmus lernt. Sie stößt an Grenzen, wenn es menschlich wird.

Als ihre Existenz öffentlich wird, ist die Welt (der Uni) entsetzt. Ihr „Opa“ tritt auf den Plan, ist vielleicht die einzige Beziehungsperson zwischen Mensch und Roboter, die echte zwischenmenschliche Gefühle als vage Möglichkeit aufkommen lässt. Zumindest, wenn der Opa mit der Enkelin Karussell fährt – und Freude aufkommt, obwohl eine Androidin keine Gefühle kennt.

Plötzlich ist Spin von Wert, die Uni möchte ihre Besitzerin werden, wie auch der Geheimdienst und neoliberale Vermarkter von Fleisch bis Brain. Spin „leidet“ – scheitert am echten Menschwerden, Rationales steht im Weg.

Wir streifen drei Robotergesetze, die da sagen „ein Roboter darf einem menschlichen Wesen keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird“ und längst durch das „Nullte Gesetz“ erweitert wurden, nämlich um den Begriff der „Menschheit“, der kein Schaden zugefügt werden darf. Isaac Asimov hat sie geschrieben, bereits 1942 und erweitert 1950. „Menschheit“ ist mehr als „der Einzelne“, was höchst diskussionswert ist.

Was können wir – und was unterscheidet uns Menschen vom Cyborg? Vom Roboter? Es ist das Irrationale. Das Unberechenbare. Menschen sind in der Lage, plötzlich links herum zu gehen, wenn sie auch sagen, sie gehen rechts herum. Es ist das Unberechenbare. An dem auch Spin erkrankt, weil sie nicht so werden kann, wie etwas, das lebt. Spin bleibt die Imitation des Lebens. Am Ende ist sie philophisch und entscheidet sich: Man muss erkennen, dass man vieles ausschalten, aber weniges anschalten kann.

Sie zieht für sich selbst den Stecker.

Werden wir Menschen das künftig auch noch können – den Stecker ziehen bei Dingen, die sich anschicken, den Menschen zu überflügeln? Wir haben es in der Hand. Noch ist KI oder AI weder gut noch böse. KI – das sind wir.

 

 

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