Das Private ist bekanntlich politisch. Daher mal ein paar Zeilen meiner Urlaubserlebnisse unter dem Aspekt eines digitalen Europas:
Mobilität war die zentrale Herausforderung für meine Ferien: In den letzten Wochen sind wir mit einem Camperbus an der Kanalküste entlang gefahren – von Nordholland (Den Helder) bis in die Normandie (Cherbourg). Als digital Interessierte führte mich das unfreiwillig in einen kleinen Selbstversuch, der da lautete „Wie ist das in Nordeuropa mit dem mobilen Netzempfang?“ Vorweg: schlecht. Ganz schlecht. Es sei denn, man ist bereit, eine Menge Geld auf den Tisch zu legen. Mit bezahltem Zugang kein Problem. Angeblich sollen ja im Sommer 2017 die Roaming-Gebühren fallen, so hatte die EU entschieden, obwohl das nicht die ganze Wahrheit ist. Während EU-Kommissar Günther Oettinger das als „Durchbruch“ feiert, sitzt der Teufel nach wie vor im Detail.
Ist schon Netzzugang sau teuer, so ist WLAN auf dieser Route absolute Mangelware. Und wenn vorhanden, dann klingelt auch dafür das Portemonnaie des Bereitstellers ganz enorm. Meine Erfahrungen mit der Preisliste: 1 Stunde WLAN-Zugang kostet 3 Euro. Den Zugang kauft man sich dann auf einem kleinen gedruckten Zettel, wie man ihn früher an den Garderoben im Theater bekam, diesmal aber auf den Campingplätzen oder an Raststätten erhältlich. Dort steht der Zugangscode aufgedruckt. Bei jedem Abriss eines Zettels ein neuer Code. Wahrscheinlich gibt es Findige, die aus dem bezahlten WLAN freies WLAN basteln können. Also die Bezahlung umgehen. Aber das Gros der Nutzer kann das nicht. Und zahlt. Die Gewohnheit, sein Leben im Netz zu checken ist zur Notwendigkeit geworden.
Alternativ gab es Restaurants, in denen WLAN für eine kurze Zeit „gratis“ zur Verfügung steht. Allerdings entpuppte sich das schnell als Fake. Für Kunden des WLAN galt immer auch der „Verzehrzwang“: WLAN ohne Essen oder Getränke? Fehlanzeige. Von Deutschland in NRW bis in die Normandie war also BezahlInternet angesagt. Noch schlimmer war aber auch diese Realität: Fette Löcher, in denen gar kein Netz zu empfangen war. Besonders in Küstennähe fernab der größeren Straßen oder Autobahnen zeigte sich das als große Geduldsprobe und Nervenkitzel, wann wieder Empfang real vorhanden war. Geografisch besonders herausfordernd: die hügelige Landschaft der Picardie und die Porte de Normandie. Kühe ja, Funkmasten nein.
Das fehlende Netz geht gleichzeitig einher mit dem Tod der herkömmlichen Telefonie via öffentlicher Telefonzellen. Lediglich Ruinen und archäologische Funde im öffentlichen Raum erinnern an frühe Zeiten der menschlichen Kommunikation.
Das bezahlte mobile Netz war ein Ergebnis der Reise. – Abgesehen davon, dass man sich ans analoge Leben erst wieder gewöhnen muss, wenn man bis dahin seinen kompletten Alltag mit dem Smartphone organisiert.
Das zweite Ergebnis lautet: Wir Europäer gewöhnen uns offenbar ohne Nachfragen daran, nahtlos überwacht zu werden. An den Autobahnen, den Tunneln, Maut-Stationen und auch auf den Parkplätzen wird mittlerweile fast nahtlos überwacht. An den Masten hängen gut sichtbar jede Menge Kameras von denen man annehmen darf, dass sie scharf sind. Leider ist kaum überprüfbar, wer die aufnimmt, was genau drauf ist, wo die gespeichert werden und wann gelöscht.
Aber auch fernab der Straßen wird gefilmt, bewacht und aufgepasst: in nahezu jeder Stadt finden sich Videokameras an den öffentlichen Plätzen, in den Straßen und an den Häfen und touristischen Einrichtungen sowieso. Einige Schilder weisen öffentlich auf diese Überwachung hin, aber sie sind selten zu finden. Dieses hier habe ich mal nachgelesen und für wenig aussagefähig erachtet. Ein leiser Anstrich von Staatlichkeit, sonst nichts.
Aber damit nicht genug. Auch auf den privaten Campingplätzen folgen einem überall Kameras. Selbst in den Sanitärhäusern findet sich fast flächendeckend der Hinweis, dass an diesem Ort videoüberwacht wird. Und spätestens am zweiten Tag nimmt man diesen unangenehmen Umstand nicht nur zur Kenntnis, sondern stumm in Kauf. Das Private ist damit öffentlich.
Während also die Überwachung überall möglich ist – und schweigend akzeptiert wird, ist der ungehinderte Zugang (und vor allem kostenlose Zugang) zum Internet nicht möglich. Da laufen zwei Entwicklungen diametral auseinander. Zwei Fakten, die uns Europäern langfristig auf die Nerven gehen müssten und anhand derer ich mir ein Europa der Einheit wünsche: Roaminggebühren weg, freies WLAN als europäisches Grundrecht und Überwachung neu diskutiert. Die Diskussion um die Verankerung des (freien) Zugangs zum Internet auch im Völkerrecht ist daher auch mein Ansatz. Hier ein interessanter Beitrag dazu von Matthias C. Kettemann auf iRightslab, aus dem ich hier zitiere:
„Ohne Zugang zum Internet und zu Internetinhalten können Menschen nicht am Möglichkeitsraum des Internets teilnehmen. Wer seine Menschenrechte und die Meinungsäußerungsfreiheit auch online ausüben möchte, benötigt Zugang zum Internet, das als technische Einrichtung selbst eine katalysierende Funktion für die Ausübung der Menschenrechte hat. Kurz: Was offline gilt, gilt auch online.
Das hat auch der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen mehrfach bestätigt, zuletzt in seiner Resolution aus dem Jahr 2014, in der er die Staaten auffordert, „den Zugang zum Internet zu fördern und zu ermöglichen“. Ähnlich ist der Ansatz, den eine Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zum „Recht auf Internetzugang“ verfolgt. Sie ruft dessen Mitgliedstaaten dazu auf, sicherzustellen, dass „jeder das Recht auf Internetzugang haben soll, als wesentliche Bedingung der Ausübung seiner Rechte gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention“.“
Meine nächste Reise wird nochmal eine sein, auf der WLAN ein Kriterium ist. Wie digital ist der Lifestyle in unseren Nachbarländern?