Das Ergebnis der Stichwahl lautet: Henning Schulz ist neuer Bürgermeister von Gütersloh. Seine Amtszeit beginnt am 21. Oktober 2015. Gewählt ist er voraussichtlich bis 2020. Es gibt aber auch Gründe, bereits vorher den Amtssessel zu verlassen a) man geht selbst, b) man erhält den Ruf zu Höherem, c) man wird abgewählt. Um nur drei Möglichkeiten zu nennen.
An Stimmen sind entfallen 61,92 Prozent für Henning Schulz (CDU) und 38,08 Prozent für Matthias Trepper (SPD) – das Endergebnis ist deutlich. Die Wahlbeteiligung ist wieder auf einen Tiefststand gesunken, bisher 31,78 Prozent.
Was sagt uns dieser letzte Wahlakt?
Einige kurze Einwürfe dazu
Wahlen produzieren Überraschungen, immer noch. So haben viele Kommunen in NRW gewählt. Dabei sind auch Verschiebungen entstanden, etwa von einer Volkspartei zur anderen, obwohl eine davon Tradition war. Oder auch viele Parteilose sind sichtbar geworden, ein Novum. Und das trotz aller Wahlmüdigkeit, die allerorten zu verzeichnen war. In Gütersloh konkret: Beim 1. Wahlgang sind rund 61 Prozent der Wahlberechtigten nicht zur Wahl gegangen, beim 2. Durchgang sind 68 % der Wahlurne fern geblieben.
Wahlbeteiligung und ihre Bezugsgrößen
Das allein müsste ernüchtern. Dieser Trend aber wird irgendwie plausibel, wenn man sich die geringe Wahlbeteiligung in Relation zu relevanten Bezugsgrößen anschaut, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind.
Viel Werbung…
Das Volk wählt den Bürgermeister direkt. Und trotzdem ist es keine reine Personenwahl, sondern auch eine Parteienwahl. Keiner der beiden Stichwahlkandidaten hätte den Wahlkampf alleine so materialschwer und umfassend auf die Beine stellen können. Die Parteien haben ihre Apparate, ihre Funktionäre und ihr Geld aufgefahren. Dennoch hat diese analoge Materialschlacht ihr Ziel wohl völlig verfehlt, die Menschen werden dadurch nicht mehr erreicht und zur Wahl bewegt. Die Losung „Viel Werbung bringt viele Stimmen“ kommt zu Fall. Lohnt es sich also noch, in diese Art von Einbahnstraßen-Wahlkampf zu investieren?
Quartiersscharf und granular
Die Wahlbeteiligung ist innerhalb der jeweiligen Wahlbezirke genau zu analysieren. Sie gibt schon einen sehr detaillierten Aufschluss darüber, wie dieser Ortsteil situiert ist – oder bei näherem Hinschauen, welche Problemsituation dort jeweilig kleingranular vorherrscht. Das gibt auch Aufschluss über die künftige Politik, die sehr viel kleinteiliger an die Gestaltung von Quartieren heran muss, wenn vor Ort wirklich gesteuert werden soll und echte Veränderung das Ziel ist. Dass dabei die Menschen in einigen Wahlbezirken ganz besonders fleißig zur Wahl gegangen sind, lässt dabei einige Rückschlüsse zu, wenn man dies etwa anhand von ehrenamtlichen Engagement und auch Zugang zu Gestaltung zur Lokalpolitik oder zur Vereinsbindung misst. Wer fleißig wählt, erhofft sich Einfluss. Und hat oftmals schon großen Einfluss, ist sich dessen sicher – ohne dabei wahltechnisch intervenieren zu müssen. Aus dem Grund hat zumindest der Christdemokrat so gut wie jedes lohnende Schützenfest, jedes Feuerwehr- und Heimatfest besucht. Auch Gütersloh denkt offenbar korporatistisch.
Ist es daher gerecht, wenn man künftig für alle Ortsteile gleiche Politik macht? Etwa in der Bezuschussung von Projekten und Schulen? Ist es da nicht angemessen, in den Ortsteilen mit großer Politikferne mehr zu investieren, weil das übliche Beziehungsgeflecht nicht ausreicht, um Änderung oder gar Verbesserung zu generieren? In diesen wahlfernen Quartiere muss man künftig „unterwegs“ sein. Nur so werden mehr als 35 Prozent erreicht, will man künftig die ganze Stadt repräsentieren.
Nominierungselite
Ein anderer Punkt ist durchaus der, dass die Parteien ein Nominierungsrecht haben, was die Kandidatenaufstellung angeht. Die jeweiligen Kandidaten der Parteien sind nur von einer kleinen Parteielite auserkoren. Meistens fallen diese Entscheidungen in den Vorständen der Parteien, wir sprechen hier von drei bis fünf Personen, die sich als Köngismacher versuchen. Der Rest ist Stimmvieh. So bleibt auch die offizielle Kür der Kandidaten durch die Parteimitglieder verschwindend gering: bei der Proklamation in Gütersloh haben nur rund 100 Mitglieder der CDU ihren Kandidaten offiziell abgesegnet, bei der SPD waren es rund 65 Mitglieder, bei der Partei BfGT waren es 23 inklusive Mutter des Kandidaten. Der Prozess der Kandidatenaufstellung kommt also selbst nicht aus dem Keller der Prozentzahlen heraus. Diese Aufstellungspraxis gilt es angesichts eines steigenden Mitgliederverlustes von Parteien im Blick zu behalten. Der intransparente Zugang, Personen überhaupt für Ämter vorzuschlagen, sagt eben so viel aus über demokratische Prozesse wie die Wahlbeteiligung selbst: Am Anfang steht die Promillegrenze, am Ende bleibt die große Beteiligung aus. Das ist eine unheilige Relation, der Kreis schließt sich.
Dagegen kann man schon behaupten, dass die Aufstellung eines unabhängigen Kandidaten ungleich schwerer ist, sie richtet sich nach der Anzahl der Einwohner und so muss eine gesetzlich festgeschriebene Anzahl an Unterstützerunterschriften beigebracht werden. Für Gütersloh lag die Anzahl bei 260 Stimmen. Das war schon schwerer. Dieser Nominierungsprozess begann bereits sehr demokratisch: konnte ich etwa bei der Einholung der Unterschrift nicht überzeugen – so blieb mir da schon die Stimme verwehrt. Am Ende lagen der Stadt 452 Unterschriften vor, die Stadt hatte aber bei Erreichen des Quorums aufgehört zu zählen. Zudem haben wir nach Erreichen des Quorums aufgehört zu sammeln. Auch wenn die seltsame Kandidatur eines fünften, auch parteilosen Kandidaten hier Fragen aufwirft, so zeigt das Wahlergebnis schon, dass die Demokratie funktioniert, denn er hat nur eine etwa ähnlich große Anzahl an Wählerstimmen bekommen wie die, die ihn aufgestellt haben (260).
Übrigens war auch die Wahlbeteiligung schon bei der Kommunalwahl 2014 sehr gering mit 45,80 Prozent, auch hier zeigt sich in der Relation zu einer ähnlichen geringen Bezugsgröße, dass die Menschen verstanden haben, wie sehr sie eigentlich aus dem demokratischen Prozess ausgeklammert sind: die Kandidatenlisten sind von einer Handvoll Parteivorsitzenden erstellt. Auch hier ist die Zahl derer, die überhaupt NEU in den Rat gekommen ist, gering. Viele der Mandatsträger sind bereits seit mehreren Wahlperioden gesetzt und damit im Prinzip von Wahlen unberührt.
Vorteilshascherei
Zurück zur Wahlbeteiligung bei der Bürgermeisterwahl muss zwingend nochmal ein Blick auf die Landespolitik geworfen werden. Die CDU und FDP haben ihre kurze Amtszeit genutzt, um die Wahlen zwischen den Räten und den Bürgermeistern zu entkoppeln. Die Bürgermeister wurden daher erstmalig für sechs Jahre gewählt, die Landesgesetzgeber hatten sich hiervon mehr Einfluss ausgerechnet, die Stadtspitzen konservativ zu besetzen. Aus dem Grund wurde in vielen Städten abgekoppelt von der Ratswahl gewählt. Eine fatale landespolitische Entscheidung, die nicht auf das Wohl des Landes gerichtet war, sondern als minimalistische Klientelpolitik Schaden angerichtet hat. Wer am Anfang des Prozesses kleinklientelig denkt, erhält auch am Ende nur ein geringes Interesse.
465 Tage
Auch die bisher amtierende Bürgermeisterin in Gütersloh, Maria Unger, ist daher eine direkte Ursache für die geringe Beteiligung. Sie hätte bereits im letzten Jahr ausscheiden und ihren Amtssessel für Neuwahlen freigeben können. Hat sie aber nicht. Sie wollte ein weiteres Jahr im Amt bleiben, also rund 465 Tage weitermachen, um ihre Projekte abzuschließen. Projekte, die sich der Öffentlichkeit bis jetzt aber nicht erschließen konnten. Die Wähler haben nicht verstanden, warum hier nicht mit dem Rat zusammen gewählt werden konnte, wie das andernorts auch ging. Ein fruchtloses Jahr Amtszeit für eine Amtsinhaberin bewirken eben auch, dass die Wahlbeteiligung auf ein Rekordniveau absinken kann. Auch hier zeigt sich, wie kleines Denken mit wenig Stimmen belohnt wird.
Konsens
Beigetragen haben dürfte auch ihr Ansatz, unbedingt Konsens in der Gütersloher Politik finden und herstellen zu wollen. Damit klammert man das Elixier der Politik an sich aus, nämlich den Streit um das bessere Argument, den Disput um den besten Weg für die Stadt. Konsens bedeutet auch, dass Pluralität in der Meinungsbildung und im politischen Geschäft nicht gewertschätzt wird. Fatal für den Wandel, der notwendig ist, wenn sich eine Stadt auf die 100.000 Einwohnermarke zubewegt und vor großen Herausforderungen steht. Wenn die politische Botschaft lautet, man spricht mit der einheitlichen Stimme des Konsens, muss man sich nicht wundern, wenn am Ende die Botschaft so aufgenommen wird: die Politik ist nicht mehr zu unterscheiden, also brauchen wir auch nicht mehr zu wählen, sind eh alle gleich – dann ist da schon seit Jahren was schief gelaufen.
Grußaugust
Vielleicht ist auch die Rolle des Bürgermeisters an sich zu überdenken. Die Gemeindeordnung NRW wurde 1994 so verändert, dass aus dem damaligen Stadtdirektor und dem ehrenamtlichen Bürgermeister ein direkt zu wählender Bürgermeister entstanden ist. Also die Personalunion von Verwaltungsleitung und politischem Verstand. Das aber ist offenbar nicht verankert, die Bevölkerung wünscht sich eher jemanden, der eine Verwaltung leiten kann. Die Position des Grußaugust kann man getrost den Stellvertretern überlassen. Die politische Kompetenz als Auszeichnungsfaktor für Bürgermeister hat sich nur in wenigen Städten und Gemeinden als gut und vermittelbar ergeben. Auch das führt dazu, dass Menschen die Gewichtung dieser Funktion „Bürgermeister“ unscharf einstufen – und der Wahl fern bleiben.
Zäune
Und zum Abschluss wirft auch der aktuelle Entschluss der Landespolitiker Sorgenfalten auf die Stirn: in Eintracht (Konsens) haben SPD, CDU und Grüne entschieden, wieder eine Sperrklausel bei den Kommunalwahlen 2020 einzuführen. 2,5 Prozent muss erreichen, wer künftig im Landtag Politik machen will. Dazu könnte man eine ganze Menge schreiben, hier nur kurz: Wer die bestehende Pluralität und Komplexität einer heutigen Gesellschaft nicht zur Kenntnis nimmt und adäquat darauf eingeht, wird sich künftig auch weiter wundern müssen, dass immer weniger Menschen der Wahlurne fern bleiben. Beteiligung gelingt nicht mit Zäunen und Quoren, sondern mit offenen Verfahren an sich, mit Dialog und auf Augenhöhe und der Haltung, sich aktiv mit den Menschen in Land und Kommune auseinandersetzen zu wollen, nicht als Einbahnstraße, sondern im echten Austausch, in Kooperation und gerne auch in zivilgesellschaftlicher Koproduktion.
Wenn das ein erkennbares Ziel bis 2020 sein sollte, kann man vielleicht hoffen, dass diese bis dahin aktivierte Partizipationskultur auch wieder Früchte in Form von Wahlstimmen tragen wird.