Was hinter der Corona-Krise auf uns wartet

Vielleicht ist es viel zu früh. Sicher ist es das. Aber es zeichnet sich bereits jetzt einiges an großen Themen ab, die nach der Pandemie unaufschiebbar praktisch angegangen werden müssen. Hier einige Stichpunkte, die mir direkt vor die Füße fallen, wenn ich das Zeitgeschehen verfolge, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit, die Liste wäre länger:

 

GESUNDHEIT

Wir werden eine unaufschiebbare Diskussionen sehen über die zukünftige Gesundheitsversorgung, digitale Krankenhäuser, ambulante Versorgung, Pflegekräfte – und den Einsatz von Robotern und Künstlicher Intelligenz. Ein Aspekt wird die Datennutzung sein, die viel mehr herangezogen werden wird als das bisher der Fall ist. Etwa allein im Aufbau einer gemeinsamen digitalen Infrastrukturen.

Zwei Beispiele, die richtungsweisend sind: 

In der Medizininformatik-Initiative (MII) etwa haben sich alle deutschen Universitätskliniken bundesweit zusammengeschlossen, um diese aufzubauen. Ziel ist es, Gesundheits- und Krankendaten über Grenzen hinweg gemeinsam zu nutzen, so hat man sich auf eine gemeinsame Sprache geeinigt, SNOMED CT. So wird eine Einheitlichkeit hergestellt, in der alle Beteiligten wissen, worüber sie reden, Daten werden vergleichbar, teilbar, weil sie unique sind. Das Bundesforschungsministerium (BMBF) stellt dazu bundesweit die Lizenz zur Nutzung von SNOMED zur Verfügung. Wir werden damit einen großen Umbruch in der Datennutzung erleben.

Wir werden sicher auch einen Blick nach Estland (wieder einmal) werfen, denn dort denkt man bereits in ganz großem Umfang an neue Datennutzungen:

Für die klinische Entscheidungsfindung sehen wir die algorithmische Datenintegration als die Zukunft an. In Estland gibt es seit 10 Jahren e-Gesundheitsdaten, und bis zum Ende des Jahres werden mehr als 10% unserer Bevölkerung genotypisiert sein. Wir arbeiten nun daran, sicherzustellen, dass diese beiden Datenquellen über Entscheidungsunterstützungssoftware kombiniert werden können, um die Prävention und Pflege von Krankheiten auf der Ebene der Primärversorgung zu steuern. In Zukunft sollten wir auch die Möglichkeit prüfen, diese Algorithmen um weitere Datenquellen wie Sozial- und Umweltdaten zu ergänzen, die beide große Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben. (Quelle: Estonia´s Minister of Health, in der Übersetzung)

 

DIGITALE INFRASTRUKTUR

Reicht die digitale Infrastruktur aus Glasfaser? Nein – schon jetzt nicht mehr und wir stehen erst am Anfang der Ausbreitung. Diese Erfahrung machen wir gerade, weil Deutschland bedingt durch das Gebot der „Soziale Face-to-Face-Abstinenz“ den Schalter umgelegt hat auf: Digital. Gerade eben hat es Gespräche mit der EU-Kommission gegeben. Demnach wurden Netflix gebeten, mit weniger Datenvolumen zu senden, weil sonst die Kapazität der Netze nicht reicht. Der Streamingdienst reduziert die Bitrate. Auch YouTube ist betroffen und sendet nicht mehr in HD-Qualität.  Das hohe Aufkommen des digitalen Arbeitens im Homeoffice und die freihändig von einzelnen Nerds ins Leben gerufenen virtuellen Plattformen und Kanäle, um Bildung virtuell zu ermöglichen, fordern ihren Tribut: das Netz ist zu langsam. Wir sprechen also von einer Drosselung fürs Überleben der notwendigen Kommunikation. Sobald die Pandemie abgeebbt sein sollte, müssen wir nicht nur die Toten beerdigen, sondern auch die Schüppe in die Hand nehmen, um ausreichend Glasfaser zu verbuddeln. Und zwar schnell und flächendeckend.

Reicht die IT in Kommunen aus, um ihre Aufgaben auch bei Shut down zu ermöglichen (siehe Stefan Kaufmann, der dazu bloggt: )

Mobil arbeiten ist derweil keine Statusfrage. Viel zu lange wurden Laptops und Smartphones im oeffentlichen Dienst quasi als Perks fuer Fuehrungs- und sonst irgendwie herausragende Kraefte verstanden. Es geht aber darum, auch in aussergewoehnlichen Lagen die Grundfunktionalitaeten der Verwaltung aufrecht zu erhalten. Kann eine Kasse keine Zahlungen mehr anweisen, trifft das im schlimmsten Fall sehr vulnerable Bevoelkerungsgruppen. Es geht nicht darum, ob die Arbeitsgruppe Trullala den Fuehrungskraefteaustausch jetzt auch remote durchfuehren kann. Sondern darum, ob Bafoeg-EmpfaengerInnen Geld aufs Konto bekommen, um ihre Miete zu bezahlen. Oder Menschen, die Wohngeld bekommen. Spielt die Szenarien gerne weiter durch. 

 

 

Finanzen

Was jetzt abzusehen ist: Die kommunalen Haushalte werden leiden. Die notwendigen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie werden das Gewerbesteueraufkommen der Kommunen – und das ist ihre wesentliche Einnahmequelle – treffen. Auch Städte, die bislang gut dastanden, werden knapper wirtschaften müssen. (auch hier Quelle: Stefan Kaufmann, Ulm)

Demokratie

Parlamentarische Arbeit ist derzeit eingeschränkt möglich. Und zwar deshalb, weil der Faktor der Öffentlichkeit fehlt. Sowohl die Mandatsträger als auch die Öffentlichkeit haben physische Probleme vor Ort zu sein und teilzuhaben an den Diskussionen – und Entscheidungen. Es ist geboten, ein höchstes Maß an Transparenz und Kommunikation einzuhalten. Das Vertrauen darf nicht verspielt werden durch Entscheidungen, die im Schatten der Pandemie durch gewunken werden und nachhaltig Wirkung erzielen. Nur so ist es gewährleistet, dass nicht auch noch unser Staatswesen beschädigt wird und damit möglicherweise den rechten Fantasten in die Hände spielt, die gerne solche Katastrophen als Nährboden für eine in ihrem völkischen Gedankengut veränderte Gesellschaft herbei sehnen.

Die jetzt erlebte Solidarität führt, wenn sie so tragfähig bleibt, zu einer stärkeren Souveränität der Bevölkerung – und verlangt nach der Bewältigung der Krise mehr Beteiligung und Transparenz. Eben weil die Zivilgesellschaft wieder mal zeigen kann, was alles an Gemeinwohlpotenzial in ihr steckt, zum Schutz der Schwächeren, für Toleranz.  Hierzu gehört künftig ein gehöriger Schub an Handwerkszeug für Open Government, etwa auch mehr Offene Daten, die intelligent genutzt in der Lage sein können, effektiv und vernetzt gedacht zu helfen. Teilhabe wird auf jeden Fall neu ausgehandelt, das macht Demokratie noch liebenswerter als sie es jetzt schon ist.  – Zudem werden wir die Frage diskutieren müssen, ob wir in Zukunft in den Räten und Parlamenten noch ausreichend weitsichtig besetzt sind: Setzen wir nach der Krise verstärkt auf Experten? Etwa Virologen, KI-Experten usw. ? Wie werden diese in die kommunale Arbeit einbezogen, die Resonanzboden ist für eine immer komplexer und vernetztere Welt. Und eine verletzbare, wie wir gerade schmerzhaft erfahren.

Und nicht zuletzt sehen wir, dass Gebote der Vernunft und das Setzen auf Freiwilligkeit offenbar nicht die Wirkung erzielen. Selbst im Angesicht einer Pandemie, gekennzeichnet von „auf Leben und Tod“, verpuffen verständliche und nachvollziehbare Vorgaben bei vielen. Wollen Menschen lieber klare Ansagen, also einen starken „Chef“? Offenbar ist das in Teilen der Gesellschaft so. Übertragen etwa auf das Thema „Frauenquote, Parität in den Parlamenten“ braucht es dazu auch eine solche klare Ansage? Mit Freiwilligkeit scheint man keinen Berg zu versetzen.

 

 

Wirtschaft

Wir sehen, dass community-orientierte Formate eine hohe Anziehung ausüben. Etwa die digitalen Plattformen, die bereits jetzt kostenfrei zur Verfügung stehen. Slack etwa, als ein Beispiel. Nach der Pandemie werden wir einen Diskurs bekommen, der Corona in Bezug auch auf unser globalisiertes Leben bezieht, auf den Klimaschutz, auf Wachstum, auf neue Formen der Arbeit – auf mehr Sinnhaftigkeit im globalen Zusammenleben. Die Welt wird verändert sein. Und die Wirtschaft, die derzeit in einem nie gekannten Niedergang ist, gleich mit. Wir werden eine Debatte um Gemeinwohl sehen, die auf neue Formen von Firmen und Netzwerke hinausläuft, eben gemeinwohlorientierter als bisher. Vielleicht sehen wir auch, dass die Gemeinnützigkeit von Stiftungen großer Konzerne und Firmen ausgesetzt wird, so dass sie Steuern zahlen müssen, damit der Staat mehr Geld hat, welches er jetzt als Hilfe anbietet, und damit dieses Geld auch demokratisch legitimiert ausgegeben wird.

 

Nach der Pandemie… aber erstmal müssen wir da durch. Und möglichst alle gesund bleiben.

 

 

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