Zukunftsausschuss in jeder Kommune

Wir stehen an der Schwelle in ein neues Zeitalter. Digitalisierung ist Veränderung pur. Aber: Es gibt nach wie vor zu wenig reale Orte in den Kommunen, an denen die Veränderungen diskutiert werden. Wo findet eine offene Debatte darüber statt, welche Relevanz Digitalisierung vor Ort entfaltet – und wie sie gestaltet werden kann, ohne dabei passiv zuzuschauen. Es braucht einen kommunalen Zukunftsausschuss. Ein Ort, an dem sich Menschen real begegnen und gleichzeitig digital vernetzt miteinander wirken können.

 

holt sie euch zurück

 

Die Idee: Diese Ausschüsse werden in jeder Kommune gebildet. Besetzt sind sie mit Mitgliedern des Rates, der Gemeindevertretung und Menschen aus der Einwohnerschaft sowie Experten und Interessierten. Jeder kann teilnehmen. Ziel ist es, innovative Themen zu platzieren, ihre Relevanz kennen zu lernen, diese einzuordnen und die Konsequenzen oder Handlungsspielräume für die Menschen und die eigene Stadt vor Ort abzuklopfen. Angebunden sind sie an die Kommune. Der Zukunftsausschuss tagt mehrmals im Jahr. Die Ergebnisse werden dokumentiert und veröffentlicht. Die Tagungen werden gestreamt.

Ein Zukunftsausschuss ist ein Transmissionsriemen: das, was „da draußen“ passiert, passiert auch „hier drinnen“.

 

Zukunftsausschuss

Warum ist das notwendig?

Weil zur Zeit unzählige Veränderungen greifen, die ihre Auswirkungen auf unsere Gesellschaft nach sich ziehen, aber die Gesellschaft nicht wirklich einbezogen wird. Die Bevölkerung bleibt zu oft Zaungast anstatt in die Gestalterrolle zu wechseln.

Einige Beispiele für mögliche Themen von Relevanz: 

Das Aktuellste zuerst:Upload-Filter und Leistungsschutzrecht. Bitte nicht gleich abwinken, sondern lesen. Weil diese Entscheidungen maßgeblichen Einfluss darauf haben, ob das Internet künftig unfrei ist und damit die Presse- und Meinungsfreiheit beschränkt. Ein Umstand, der jeden angeht: Das Urheberrecht und Uploadfilter wurden gerade heute im EU diskutiert – die Abgeordneten stimmten (nun doch) dagegen. Jetzt folgen zumindest weitere Verhandlungen, in denen noch Argumente ausgetauscht werden können. In der Gesetzesvorlage geht es hauptsächlich um Artikel 11 (Leistungsschutzrecht) und 13 (Uploadfilter).

Leistungsschutzrecht. Mit dieser Regelung können Presseverlage Lizenzgebühren erheben, wenn Internetplattformen auf ihre Inhalte verlinken. Dieses Vorhaben ist als „Linksteuer“ bekannt. Betroffen sind zum Beispiel soziale Netzwerke und Nachrichtenplattformen wie Google News. Zu jedem Link erscheint eine Vorschau auf die Inhalte des Beitrages. Diese Texte und Elemente sind urheberrechtlich geschützt. Nutzer sollen für die Verwendung zahlen. In Deutschland gibt es dies schon. Allein die Aufwendungen lagen bei  weitem über dem Verdienst.

Uploadfilter. Betreiber von Internetplattformen müssen nach Artikel 13 des Gesetzes jedes von Nutzern hochgeladene Bild, jede Tonaufnahme und jedes Video auf Urheberrechtsverletzungen vorab prüfen. Finden sich Stellen, die das Urheberrecht berühren, wird das Hochladen untersagt. Der Beitrag geht nicht online. In erster Linie trifft das You Tube und Facebook. Unzählige andere Seiten sind ebenfalls betroffen, die von Nutzern erstellte Inhalte anbieten. Auch dieser Blog etwa. Sogenannte Uploadfilter, also automatisierte Software, soll die Inhalte beim Hochladen überprüfen und blockiert schon bei simplen Verdacht auf eine mögliche Urheberrechtsverletzung automatisch. Wer aber legt fest, was online gehen darf und was nicht?

In Deutschland regt sich schon lange Protest gegen diese Filter. Der Protest formiert sich naturgemäß eher im Netz. Doch er gehört längst breit diskutiert, denn davon betroffen ist über kurz oder lang auch die Frage nach der Pressefreiheit und Meinungsfreiheit. Unsere Demokratie steht im Fokus. Ein zentrales Thema für jede Kommune. Kürzlich unterzeichneten bereits namhafte Digitalpolitiker einen Offenen Brief gegen die geplante Umsetzung, unter ihnen Dorothea Bär, CSU und Digitalbeauftragte der Bundesregierung.

 

Arbeit 4.0  oder auch #newwork 

Arbeit ist nun wirklich ein kommunales Thema. Wie verändert sich Arbeit in der Digitalisierung und welche Bedarfe entstehen dadurch was etwa regionale Arbeitsagenturen angeht, oder kommunale Infrastruktur wie auch Kindergärten, Schulen, Betreuung? Wie hoch ist die Pendlerquote oder könnten auch örtliche CoWorking Spaces helfen, Arbeitsplätze vor Ort zu binden. Welche Rolle spielt dabei die Kommune?

 

Breitbandversorgung

Das Paradebeispiel für das aktive Verschlafen kommunaler Handlungsfähigkeiten. Die Notwendigkeit der Anbindung an die Gigabit-Gesellschaft ist seit langem bekannt. Erst jetzt kommt das Gros überhaupt auf den Trichter, wie grundsätzlich eine schnelle Internetverbindung in jedes Haus mit Glasfaser (!) ist. Die Versorgung mit schnellem Internet bis in jedes Haus entscheidet künftig über Teilhabe und Nutzung weiterer digitaler Errungenschaften von der medizinischen Versorgung bis hin zur Nahversorgung mit Lebensmitteln oder den Medienkonsum. Lange Zeit haben sich viele kommunale Entscheider auf einen Monopolisten verlassen, der allerdings Kupfer und damit eine beschränkte Übergangstechnologie verbuddelt hat – viel Geld für wenig Nutzen. Kaum eine Kommune hätte frühzeitig ihre Handlungskompetenzen in dieser Frage überdacht und gehandelt, der größte Teil hat sich auf einen Monopolisten verlassen. Heute ruft selbst die Bundesregierung das Credo „Glasfaser first!“ aus – sogar mit der Diskussion, bewilligte Förderung jetzt doch noch umzuwidmen auf Glasfaser bis ins Haus. Die Zeit eilt davon. Ganze Regionen sind abgeschnitten. Auch jetzt noch braucht es Orte der Diskussion darüber.

 

5-G Mobilfunk

Stellt die nächste Generation des Mobilfunks dar. Es geht um das mobile Internet. Milliarden von Geräten werden künftig miteinander verbunden sein, das Internet der Dinge verbindet nicht nur Menschen miteinander – sondern eben Dinge, die miteinander kommunizieren. Ein 5G-Netz gibt es noch nicht. Es befindet sich in der Testphase. Eine der Testphasen ist Berlin. Wer jedoch die Relevanz erkennt, weiß, wie wichtig es ist, den Einsatz solcher Technik auch vor Ort abschätzen zu können: kaum Latenzverlust und Echtzeitübertragung – das ist notwendig etwa bei Operationen, bei denen der Operateur künftig nicht mehr im gleichen Raum anwesend sein muss wie der Patient. Oder beim selbstfahrenden Auto, wo ein hohes Datenaufkommen in Echtzeit übermittelt wird. Wo aber ist dabei der Platz der Kommunen – und wie ließe sich das nutzen, steuern, was kann man damit machen, wenn die Infrastruktur vorhanden sein würde? Alles Fragen für einen Zukunftsausschuss.

 

gestalten nicht verwalten

Internet der Dinge

Künftig geht man davon aus, dass alles mit allem verbunden sein wird. Das Allesnetz ist längst im Wachsen begriffen. Dinge sprechen miteinander. Da spricht etwa ein Sensor an einer Brücke mit einer Anhängerkupplung und signalisiert schon frühzeitig vor dem Befahren der Brücke: Achtung, Seitenwind – so dass ein Auto das Signal bekommt, langsamer zu fahren. Um nur ein Beispiel zu nennen. Sensoren im kommunalen Raum, im öffentlichen Raum – das ist ein sensibles Thema. Und gehört auf die Tagesordnung einer jeden Stadtgesellschaft, eines jeden Dorfes. Was macht das mit den Menschen vor Ort?

 

Digitale Mobilität

Mobilität ändert sich schon jetzt. Ob und wie Autos künftig noch fahren, ist gerade im Fluss. Feinstaubbelastungen, Betrug der Autohersteller, Klimawandel, veränderte Haltung zum Auto – all das ändert Städte und vor allem Dörfer, die nochmal eine ganz eigene Notwendigkeit von Mobilität zeitigen. Wir müssen drüber reden, wie Mobilität sicher gestellt sein kann, was es kostet, wie das digital zu steuern ist – und wie Städte und Gemeinden umgestaltet werden können, damit nicht Blech im Zentrum steht, sondern Menschen.

 

Künstliche Intelligenz

Sie ist gekommen, um zu bleiben. Und sie hat das Zeug dazu, dem Menschen sein Dasein und seine Deutungshoheit in vielen zentralen Feldern das Wasser zu reichen. Nicht umsonst tauchen überall in der Nation Fragen nach Ethik und Steuerung auf. Aber auch in den Kommunen müsste das längst Thema sein: etwa, wenn sich Chatbots mit den Bürgern und Bürgerinnen unterhalten. Wenn z.B. Algorithmen Auswertungen vornehmen, etwa bei der Polizeiarbeit, in der kommunalen Sicherheit etc. etc. Der Anwendung sind keine Grenzen gesetzt. Welche Auswirkungen hat das auch auf kommunales Sein?

 

Digitale Bildung

Die Schulen gehören ans schnelle Netz. Die Schulen brauchen eine digitale Infrastruktur. Nur wer leistet das? Welchen Einfluss bedeutet das? Wie übernehmen Konzerne, Stiftungen und andere Anbieter die Hoheit über Schulen – und ist das so gewollt? Wird auch diskutiert, ob Open Source eine Alternative ist? Müssen sich gleich alle Schulen einer Kommune, eines Kreises von einem Anbieter beraten lassen, der damit ein gigantisches Markterkundungsverfahren startet und Daten sammelt, die in künftige Geschäftsfelder fließen?

 

Themen über Themen für einen Zukunftsausschuss, der Zeit und Raum schafft, sich mit solchen Inhalten etwas vertiefter zu befassen. Die Liste ließe sich problemlos erweitern. Wir haben wie selten zuvor eine Gesellschaft die Gelegenheit, unsere Zukunft aktiv mitzugestalten. Denn das Internet bietet die Chance der Einbindung und Diskussion in einem Umfang und einer Qualität wie es nie zuvor möglich weit, allein, weil die Reichweite und die Vernetzung fehlte. Ein Zukunftsausschuss könnte genau der richtige Ort sein, um aus einer begleitenden digitalen Plattform physisch vor Ort über Digitalisierung zu diskutieren. Raus aus dem Netz, rein in die Begegnung vor Ort. Eine schöne Kombination von beidem.

Nur einrichten muss man solch ein Gremium. Dazu braucht es Mut. In der Regel bleiben die Beschlüsse unverbindlich – aber allein der Umstand, dass Wissen mehr wird, wenn man es teilt, ist unbezahlbar und macht aus passiven Konsumenten Gestalter vor Ort. Es geht auch um Befähigung. Befähigung dazu, dass die Bevölkerung ihren eigenen Platz findet in Zeiten der Umbrüche. Befähigung nimmt Ängste. Kompetenzen schützen – auch vor einfachen Antworten, vor rechtspopulistischen Anfeindungen gegenüber einer offenen, liberalen und toleranten Gesellschaft, wie wir es sein wollen.

 

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