Pflege zwischen Empathie und smarter Technik

Letzten Freitag fand eine weitere Austauschrunde zur Digitalstrategie NRW in Düsseldorf statt. Wie berichtet. Ich besuchte zwei Panels mit dem Thema „Pflege und Digitalisierung“. Als pflegende Angehörige und als Autorin war das genau mein Thema.

 

Die Frage in der ersten Gesprächsrunde zu „Pflege 2030“ lautete „Wie kann man den Pflegeberuf attraktiver machen?“. Am Tisch und Flipchart (auf Papier) fanden sich zahlreiche ExpertInnen. U.a. eine Dame der Bundesagentur für Arbeit, vielleicht Mitte Zwanzig. Ihre Aufgabe ist es, Interessierte für diese Berufswahl zu gewinnen, den Beruf eben attraktiv auf den Markt zu bringen. Ein Teil ihrer Antworten irritierte mich zutiefst: Wenn „wir“ hier technischer werden und den jungen Leuten vermitteln, dass der Beruf auf technisch anspruchsvoll und spannend ist, könne sie sich vorstellen, dass der Pflegeberuf künftig eine Sogkraft entwickeln würde. – Wir sprachen derweil über den Einsatz von Virtuellen Brillen, die etwa in der Ausbildung zum Einsatz kommen können, mit dem Ziel des Trainings etwa für Handgriffe bei der Pflege und Versorgung. So könne man sich digital aus- und fortbilden.

Selbstverständlich ist das eine gute Idee. Zeigt jedoch nur einen winzigen Ausschnitt. Wann genau und wie lange war die BundesagenturDame das letzte Mal in einem Pflegeheim? Am Tisch strickten wir lustig ins Blaue Ideen für 2030 – also in zehn Jahren. Real ist: Heute noch ist so gut wie flächendeckend NICHTS digital im Heim, weder die Doku noch ein Hilfsmittel bei der Pflegeanwendung. Wenn schon die leichten Übungen der digitalen Hilfsmittel wie beim Schreibkram nicht funktionieren, wie soll sich dann der Pflegeberuf handwerklich in den kommenden zehn Jahren digitalisieren? Und ist es nicht reine PR, den künftigen Auszubildenden zu erzählen, Pflege sei mit VR-Brillen zu lernen? Es braucht die ehrliche Ansage, was Pflege bedeutet, nämlich empathische Beziehungsarbeit.

Am Ende folgt nämlich nach dem Ablegen der VR-Brille das hier: beim Gang zur Toilette und beim Saubermachen heißt es, das nackte Fleisch anzufassen, die Gerüche auszuhalten, Urin und Kot zu entfernen an einem nichtfamiliären Individuum mit Eigenheit und Einzigartigkeit im Sein, mit einer Seele, mit Würde. Da wird dann aus Null und Eins ein warmer gebrechlicher Körper, runzelig vielleicht, da ist die Scham, das stille Aushandeln von helfen und sich helfen zu lassen, auch bei schwindendem Geist.

Natürlich bin ich Digitalenthusiastin durch und durch – das schreibe ich auch in meinem neuen Buch über Pflege ohne Geist und KI ohne Bewußtsein – aber es ist abwegig, Pflege mit der Dematerialisierung des Menschlichen zu bewerben. Auch wenn es noch so verlockend ist, darüber zu sinnieren, das viele Junge den Beruf ergreifen oder künftig arbeitslos gewordene Mitarbeiter als Pflegende in die Versorgung umgeschult werden könnten. Erstens bleibt die Frage, wer das bezahlen soll und zweitens bleibt die Frage, ob alle diese Personen überhaupt für den Beruf geeignet sind, der sehr viel Emotion und Kraft frisst. Mir waren viele der Antworten zu rosarot, zu sehr vom grünen Tisch gedacht, zu wenig vernetzt mit allen Akteuren. Und dennoch brauchen wir mehr Ideen und Gesprächsrunden, um praktikabele Antworten für die Digitalisierung in der Pflege zu finden.

 

Auftaktgalopp

 

 

 

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