Ja oder nein? Antwort: noch unentschieden!

In den letzten Tagen wurde ich häufiger gefragt, ob ich wieder als Bürgermeisterkandidatin antrete. Am 13. September 2020 finden in NRW Kommunalwahlen statt, gepaart mit Bürgermeister- und Landratswahlen.

Natürlich habe ich mir dazu Gedanken gemacht. Zur Zeit bin ich zwar gut beschäftigt: Mein aktuelles Buch über Demenz und den Einsatz von Robotern und KI in der Pflege ist in der Produktion. Zudem arbeite ich in der aktuellen Colab-Initiative zu #KOKI Künstliche Intelligenz in Kommunen mit. Eine Aktion, die vom Dt. Städte- und Gemeindebund sowie von Fraunhofer unterstützt wird.

Die Antwort ist also: Jein. Ich habe mich noch nicht entschieden. Wohl aber bereits im Rathaus prüfen lassen, ob ich zum Antritt nochmals 260 Unterstützerunterschriften vorlegen muss. Nach Aussage aus dem Rathaus wäre das der Fall, ich benötige nochmal Unterstützerunterschriften.

Für ein Ja spricht:

Viele Kandidaten zur Auswahl erhöhen auf jeden Fall den demokratischen Faktor. Das ist immer gut! Konzepte und Vielfalt an Ideen für das Zusammenleben in der Stadt Gütersloh und der Zukunft der Stadt stehen mit dem Antritt vieler Kandidaten im demokratischen Wettbewerb. (Es ist am Ende allerdings schade, dass nur einer gewinnen kann und viele gute Ideen eine Sekunde nach der Wahl vom Spielfeld verschwinden, weil der Sieger keine Nebenbuhler duldet.)

Das Urteil in Fragen der Stichwahl bestärkt die Demokratie. So ist sicher gestellt, dass nicht ein Bewerber mit geringer Prozentzahl siegen kann, sondern ein Votum der breiten Mehrheit braucht. Ein Bürgermeister/ eine Bürgermeisterin vertritt alle Menschen in einer Kommune, er leitet als Chef die Verwaltung, da braucht es eine profunde Legitimation. Ich denke, dass meine Kandidatur im Jahr 2015 auch dazu geführt hat, dass wir in GT eine Stichwahl abgehalten haben. Immerhin erreichte ich knapp 10 Prozent, die am Ende vielleicht konkret Norbert Morkes gefehlt haben, um zu gewinnen. Angesichts einer Wahlbeteiligung im 1. Wahlgang von lediglich 39,3 Prozent (31.265) von insgesamt 79.544 Wahlberechtigten und in der Stichwahl von nur 31,78 Prozent  zeigt sich die Relevanz einer Stichwahl. 14.000 Stimmen hätten also sonst gereicht, einen Bürgermeister einer 100.000 Einwohnerstadt im 1. Wahlgang zu wählen.

Der Trend geht zudem zu parteilosen Kandidaten. Sie gewinnen sogar immer häufiger – wenn sie Unterstützung durch Parteien finden. In der Regel schließen sich hierzu Parteien zusammen und unterstützen jemanden, der eher Generalist ist und seine Unabhängigkeit glaubhaft machen kann. Die Menschen in den Kommunen verabschieden sich zudem in ihrer Wahlentscheidung zunehmend von Parteibindungen. Ein Grund liegt im vielfachen Unvermögen der Parteien, Zukunft mit einer Idee zu adressieren und Parteiinteressen außen vor zu lassen.

Für Gütersloh hat sich die AfD angekündigt, die in den Rat strebt. Zudem hatten wir bei der letzten BM-Wahl auch einen Vertreter, der bereits auf dem Deckel der AfD stand und kandidiert hat. Mir ist es ein Herzensanliegen, dass Gütersloh tolerant, offen und vielfältig bleibt. Für Rassismus ist hier kein Platz. Mit meiner Kandidatur würde ich das unterstreichen.

Digitalisierung als Thema stand in den letzten beiden Jahren auf der Tagesordnung. Allerdings für meine Begriffe als sehr aufwändige PR-Strategie, allein um das Thema zu besetzen. Ein Wachsen von unten, ein Mitnehmen der breiten Bevölkerung ist weitestgehend ausgeblieben. Die Intransparenz, wer hier die Fäden zieht, blockiert die Verankerung in weiten Teilen der Bevölkerung und im Durchsickern in viele Themen. Es reicht nicht, wenn einige wenige Mäzene den Geldbeutel öffnen. Open Government als ein wichtiger Baustein und als Kulturwandel hin zu Transparenz, Offenen Daten und einer offenen und vernetzt arbeitenden Verwaltung kann ich nicht erkennen. Im Gegenteil, heute läuft alles über den Schreibtisch des Bürgermeisters, aber ohne Sichtbarkeit, wenn es brennt und Verantwortung für Handeln und Scheitern erforderlich sind. Und von flächendeckendem Glasfaser bis in die Haushalte schweige ich gleich ganz.

Gütersloh – wie viele andere Städte auch – steht vor krassen Umbrüchen: Klimanotstand, Mobilitätswende, Nachhaltigkeit, das Auseinanderdriften der Gesellschaft, das Anwachsen und Zementieren der Armut in der Bevölkerung, unsichere Weltkonzerne, Arbeit und KI. Es braucht Mut und Weitsicht. Und das Einbeziehen von mehr Menschen in der Bevölkerung als bisher, wenn es um Antworten geht, wie unsere Stadt sich entwickeln soll. Zudem sehen wir auf einen Rat, der seit Jahrzehnten mit der fast gleichen Crew besetzt ist. Das verlangt nach Impulsen von außen und neuen Herangehensweisen sowohl in der Vertretung der Bürgerschaft als auch der Führung in der Verwaltung. Die Gütersloher Bevölkerung ist auf die Straße gegangen, hat sich politisiert, um notwendige Veränderung zu bewegen. Gute Voraussetzungen für einen Wandel, der das in politisches Handeln umsetzt: Wir werden so nicht weitermachen können wie bisher. Für solche klaren Ansagen etwa für eine klimaneutrale Stadt stehe ich.

Für ein Nein spricht:

Ein Wahlkampf als Einzelkämpfer ist enorm anstrengend. Kostet ziemlich viel Energie, Nerven – und Geld aus eigener Tasche. 2015 habe ich dazu viele Erkenntnisse gesammelt. Sie sind in mein Buch „Wahltag“ eingeflossen. Es braucht jetzt die Vielen, die unterstützen.

Die Statistik zeigt, dass die amtierenden BürgermeisterInnen gewinnen – weil sie einen Verwaltungswissensvorsprung haben. Will sagen: sie gehen mit einem Bonus ins Rennen. Sie reiten auf der Kompetenzvermutung, die die Bürgerschaft ihnen zuspricht. Wahrscheinlich ist, dass Henning Schulz alles dransetzen wird, um diese Karte zu spielen. Zudem ist er Kandidat der größten Fraktion, der CDU. Wenn er der Partei nicht zu zickig gegenüber auftritt, wird er nochmal als ihr Kandidat antreten.

Die Beharrungskräfte in den vorhandenen Institutionen und Organisationen sind enorm. Angst vor Veränderung ist ein regelrechter Blocker für notwendige Veränderungen. Es gibt zwei Geschwindigkeiten in der Gesellschaft: die Bremser und die frühen Vögel. Diese Lücke auszugleichen ist eine große Aufgabe. Ich weiß nicht, ob ich dazu die Kraft und die Lust habe, den Mainstream der Entscheider mitzunehmen. Aber ein „Weiter so“ wird sich rächen, ich möchte mich aber auch nicht überschätzen in meinem Vermögen, hier etwas zu bewirken.

Politik wird nicht allein im Rathaus gemacht. Ein wesentlicher Faktor, den ich 2015 sehr deutlich begriffen habe. Die Wirkmacht der Einflussreichen ist enorm, sie reicht über Stiftungen bis hin zur schwindenden Resilienz der Stadt, die sich an Geschenke von wenigen Gebern gewöhnt hat. Es hat was von Don Quichotte, hier nochmals anzutreten.

Ich habe noch nicht mit meiner Familie gesprochen. Ihr Votum aber wäre mir das Wichtigste. Außerdem habe ich „Demokratie wagen“ noch nicht gefragt, ob sie mich wieder unterstützen würden.

Die Frage beschäftigt mich also noch: Ja oder Nein?

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